Teure Kredite und Absatz von Überschüssen

EG-Hilfe für RGW-Länder: Angebote in höchst unterschiedlichen Stadien der Realisierung / Präferenzen wie für Entwicklungsländer  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Vollmundig sprechen EG-Kreise derzeit von ihren Anstrengungen, Mittel- und Osteuropa beim Demokratisieren unter die Arme zu greifen. „Wir sind bereit, auf jeder erdenklichen Ebene zusammenzuarbeiten, um in Osteuropa eine gesunde Wirtschaft zu etablieren - unter der Bedingung, daß dort sichtbar zur Demokratie zurückgekehrt wird.“ Was Frans Andriessen, der EG-Kommissar für Außenpolitik, als Botschaft der Zwölf philanthropisch zum Besten gibt, nimmt sich allerdings bei genauerem Hinsehen bescheiden aus.

24 westliche Staaten - neben den EG-Mitgliedern die anderen westeuropäischen Länder, die USA, Kanada und Japan - haben sich zusammengeschlossen, um Hilfe für Polen und Ungarn zu koordinieren. Die erste Hilfsladung Zitrusfrüchte, Olivenöl und Getreide im Werte von 250 Millionen DM wird bereits geliefert, eine zweite für runde 400 Millionen DM ist in Planung. Aus den Überschußbeständen der EG soll Polen eine halbe Million Tonnen Brotgetreide, 200.000 Tonnen Mais und 100.000 Tonnen Gerste erhalten. Gleichzeitig hat der Ministerrat Kredite für Polen und Ungarn in Höhe von 600 Millionen Mark beschlossen - allerdings erst auf Druck der EG-Parlamentarier.

Vorgesehen ist, daß die anderen 12 Länder der „Gruppe der 24“ ihrerseits Kredite in gleicher Höhe bereitstellen. Damit sollen die Ausbildung von Managern, Umweltschutzprogramme und Investitionshilfen finanziert werden. Außerdem will die EG noch bestehende Mengenbeschränkungen und Zölle für den Import von Textilien, Stahlerzeugnissen und Agrarprodukten aus Polen und Ungarn an das System der Allgemeinen Zollpräferenzen für Entwicklungsländer anpassen.

Zu der Initiative gehören ferner Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu handelsüblichen Bedingungen bis zu zwei Milliarden DM sowohl für Polen als auch für Ungarn. Wie attraktiv diese Kredite zur Verbesserung der Infrastruktur sind, zeigt die Antwort des Kremls auf ein ähnliches Angebot der EG an die Sowjetunion: „Wir sind nicht interessiert. Grund: Zu teuer.“ Eine solche Haltung können sich die kleinen Länder Polen und Ungarn allerdings ebensowenig leisten wie eine Ablehnung der an alle Kredite gebundenen Knebelbedingungen des Internationalen Währungsfonds.

Die Regierungen beider Länder verhandeln zur Zeit mit dem IWF über neue Kredite und Umschuldung der bisherigen öffentlichen Schulden in Höhe von 18 Milliarden Dollar. Insgesamt steht Polen mit 39 Milliarden Dollar beim Westen, vor allem bei der Bundesrepublik, in der Kreide - was selbst im Falle eines Landes, das kaum mehr seinem Schuldendienst nachkommt, ein einträgliches Geschäft sein kann: Die Banken haben seit 1982 von den Polen für ihre Kredite von 8,5 Milliarden Dollar nicht weniger als 4,5 Milliarden Dollar Zinsen abkassiert. Die Regierungen waren allerdings weit weniger erfolgreich, weshalb Polens Schulden inzwischen auch zu einem großen Teil aus einem unbezahlten Zinsenberg bestehen, den abzuschreiben die öffentlichen Gläubiger sich noch immer schwer tun.

Am 13.Dezember wollen sich die Außenminister der 24 in Brüssel treffen, um die Modalitäten für die neuen Kredite zu diskutieren. Im Einzelnen geht es um die Einrichtung einer Entwicklungsbank und einer Europäischen Stiftung. Letztere soll die Ausbildung von Managern aus den betroffenen Ländern übernehmen und die Teilnahme an Trainingsprogrammen der Gemeinschaft koordinieren. Die französische Ministerin für Europäische Angelegenheiten, Edith Cresson, möchte die neue Entwicklungsbank privatem und staatlichem Kapital öffnen. Als anfängliche Einlage hält sie 11 Milliarden Dollar für ausreichend, um bei der Finanzierung „großer Vorhaben“ in Polen, Ungarn, der DDR und möglicherweise sogar der Sowjetunion zu helfen.

Allerdings sind die Regierungen Großbritanniens und der Niederlande gegen die Einrichtung einer neuen Finanzinstitution der EG. Immerhin schlossen sich aber die Außenminister dem Vorschlag des US-Präsidenten Bush an, einen Wechselkursstabilisierungsfond für den Zloty von insgesamt einer Milliarde Dollar einzurichten.

Nach Polen und Ungarn ist jetzt auch die DDR ins Zentrum des EG-Interesses gerückt. Andriessen wird am 4. und 5.Dezember nach Ost-Berlin fahren, um mit Egon Krenz Möglichkeiten zu besprechen, wie das Verhältnis zwischen EG und DDR entwickelt werden kann. Am 17.November hatte die Ostberliner Regierung bei der EG um ein Kooperationsabkommen angefragt, das über das bislang angestrebte Handelsabkommen hinausgeht. Aufgrund der neuesten Entwicklungen in Bulgarien wird auch überlegt, die auf Eis gelegten Gespräche mit der bulgarischen Regierung wieder aufzunehmen. Jugoslawiens marode Wirtschaft soll gleichfalls unterstützt werden.

Nach viermonatigen Verhandlungen haben sich Vertreter der Sowjetunion und der EG am Montag in Brüssel auf ein Handels und Kooperationsabkommen geeinigt. Kooperiert werden soll bei der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Sowjetunion ist damit das erste osteuropäische Land, mit dem die EG auf dem Gebiet der Atomtechnologie - auf der Grundlage der Euratom-Verträge - zusammenarbeitet. Die Kooperation soll sich jedoch auf die Sicherung von AKWs beschränken. Neu ist auch, daß West-Berlin in die Verträge miteinbezogen ist. Außerdem wurde der Abbau von Importbeschränkungen für sowjetische Güter beschlossen. Das Handelsvolumen der EG mit der Sowjetunion ist größer als das mit den anderen osteuropäischen Staaten zusammen, obwohl die sowjetischen Exporte zwischen 1985 und 1988 in die EG um fast 40 Prozent auf 26,5 Mrd. DM zurückgegangen sind.