Machtprobe im Libanon

■ Neuer Präsident setzt General Aoun als Befehlshaber der Armee ab / Panikkäufe in Beirut

Beirut/Berlin (afp/taz) - Die libanesische Regierung hat am Dienstag ein Ultimatum des neuen Staatspräsidenten Elias Hrawi wahrgemacht und den Chef der christlichen Militärregierung, Michel Aoun, seines Postens als Oberkommandierender der Armee enthoben. Aoun, der von Hrawi zum Rücktritt binnen 48 Stunden aufgefordert worden war, hatte zuvor klargemacht, daß er den am Sonntag vom Parlament gewählten Präsidenten und seine neue Regierung nicht anerkennt.

Zum Nachfolger Aouns als Oberkommandierenden der Armee ernannte das Kabinett den 53jährigen General Emile Lahud. Er ist, wie Aoun, ein maronitischer Christ und war zwischen 1984 und 1988 im Verteidigungsministerium Leiter der militärischen Kammer und als solcher Mitarbeiter des unnachgiebigen Generals in Ost-Beirut. Aoun lehnt das Friedensabkommen von Taif ab, weil es keinen sofortigen Abzug der syrischen Besatzungstruppen vorsieht. Der Übereinkunft zufolge sollen die syrischen Einheiten in zwei Jahren schrittweise zurückgezogen werden.

Die Machtprobe zwischen Hrawi und Aoun löste Panikkäufe von Lebensmitteln in Beirut aus. Im Ostteil der Stadt versammelten sich über 20.000 meist junge Anhänger Aouns vor dem zerschossenen Präsidentenpalast in Baabda. Sie sicherten ihm ihre volle Unterstützung für den Fall zu, daß Präsident Hrawi Militär gegen Aoun in Marsch setzt. Hrawi hatte einen begrenzten militärischen Angriff in Aussicht gestellt, sollte Aoun sich weigern, dem Ultimatum Folge zu leisten.

Ob Hrawis Konfrontationskurs sich als erfolgreicher erweisen wird als das Vorgehen seines ermordeten Vorgängers Moawad, ist fraglich. bei einer militärische Aktion, sprich die Eroberung des Präsidentenpalastes in Baabda, müßte er sich auf die syrischen Besatzungstruppen stützen. Seit dem Wochenende heißt es in Beirut, syrische Soldaten würden in der Umgebung des „Christenlandes“ zusammengezogen. Politische Kreise in West-Beirut gehen davon aus, daß Aoun jetzt nur zwei Alternativen bleiben: sich der neuen Regierung zu unterwerfen oder einen bewaffneten Konflikt zu riskieren, den er nur verlieren kann.

Diese Sichtweise wird in der Umgebung Aouns nicht geteilt. Dort ist man durchaus der Meinung, daß man einem Angriff aus dem Westen, selbst mit syrischer Unterstützung, standhalten kann. In Armeekreisen heißt es Korrespondentenberichten zufolge, selbst wenn Aoun letztendlich unterliegen werde, so bedeute dies doch, daß der neue Präsident seine Macht auf „den Leichen der Christen“ errichte. Damit seien seine Legitimität und der Anspruch, für das ganze Land zu sprechen, in Frage gestellt.

Neben der Machtprobe mit Aoun und ihren möglichen kriegerischen Konsequenzen stellt sich Hrawi auf der politischen Ebene noch ein weiteres Problem. Zwei Minister aus dem christlichen Lager in der neuen, paritätisch von Moslems und Christen besetzten Regierung haben sich bislang noch nicht geäußert, ob sie ihre Posten auch annehmen. Der Maronit Georges Saade, der Chef der christlichen Kataeb -Partei, will seine Zustimmung von den Führungsgremien seiner Organisation abhängig machen, und der griechisch -orthodoxe Michel Sassin wiederum macht seine Haltung von Saade abhängig. Angesichts des Schlagabtauschs mit Aoun wäre es nicht überraschend, wenn Saade erst einmal den weiteren Gang der Dinge abwartet.

b.s.