Koalition in Bonn: So groß wie furchterregend

■ Der Bundeskanzler hat die Gunst der Stunde erkannt: er will in die Geschichte eingehen

Aus der Asche ein Kanzler: Mit seinem Zehn-Punkte-Programm hat Helmut Kohl die Initiative ergriffen und die Opposition fast einhellig hinter sich gebracht. „Es gibt keine konzeptionellen Differenzen zwischen Ihnen und uns“ aus dem Munde des SPD-Politikers Karsten Voigt - was kann der Kanzler sich noch wünschen? Eine begriffliche Melange aus Föderation und Konföderation, bundesstaatlichen Elementen und viel, viel Europa - bei der Interpretation werden in den kommenden Wochen ganze Regimenter von Beratern Beschäftigung finden. Und noch ein Nebeneffekt: Die Karten für den Wahlkampf sind neu gemischt.

Berlin/Bonn (dpa) - Alle Bundestagsparteien mit Ausnahme der Grünen sind für eine Konföderation der beiden deutschen Staaten. Bundeskanzler Helmut Kohl erhielt am Dienstag in der Haushaltsdebatte des Bundestages breite Zustimmung für seinen Zehn-Punkte-Plan, mit dem eine bundesstaatliche Ordnung in ganz Deutschland erreicht werden soll. Bundesrepublik und DDR sollten ein gemeinsames parlamentarisches Gremium, einen gemeinsamen Regierungsausschuß sowie Fachausschüsse zu den verschiedensten Themen bilden, schlug Kohl auch unter dem Beifall der Sozialdemokraten vor.

SPD-Fraktionschef hatte bereits zu Beginn der Debatte seine Sympathie für eine Konföderation geäußert und die große Übereinstimmung zwischen SPD-Opposition und CDU/CSU/FDP -Koalition in den zentralen Fragen der Deutschlandpolitik hervorgehoben. In seiner Antwort auf Kohl bot der SPD -Abgeordnete Karsten Voigt dann die Zusammenarbeit seiner Fraktion bei der Verwirklichung aller zehn Punkte des Kanzler-Konzepts an.

Ausdrückliche Zustimmung kam auch von Bundesaußenminister Genscher (FDP). Er begrüßte die Chance für einen neuen Grundkonsens in Bonn. Das Schicksal der Nation dürfe nicht zum Wahlkampfthema gemacht werden.

Nur die Grünen grenzten sich von der Gemeinsamkeit der übrigen Fraktionen ab. Ihre Sprecherin Jutta Oesterle -Schwerin forderte eine „Politik der Zweistaatlichkeit ohne jedes Wenn und Aber“. Es gebe keinen einzigen vernünftigen Grund für eine Wiedervereinigung. Nicht ein Problem könne in einem vereinigten deutschen Staat besser gelöst werden als in zwei Einzelstaaten. Der DDR müsse der Rücken für eine eigenständige, sozialistische Entwicklung freigehalten werden.

Kohl bezog sich bei der Vorstellung seines Plans ausdrücklich auf die Anregung von DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, die beiden deutschen Staaten sollten eine „Vertragsgemeinschaft“ bilden. Die Bundesrepublik sei nicht nur bereit, diesen Gedanken aufzugreifen, sondern auch „einen entscheidenden Schritt weiterzugehen“, sagte der Kanzler. Ein stufenweises Zusammenwachsen liege in der Kontinuität der deutschen Geschichte: „Staatliche Organisation in Deutschland hieß immer Konföderation und Föderation.“ Voraussetzung für gemeinsame Gremien seien aber freie Wahlen und eine daraus hervorgegangene demokratisch legitimierte Regierung.

Kohl relativierte in seiner Rede die bisher immer wieder genannten Bedingungen für wirtschaftliche Hilfe an die DDR. Die Forderung nach Abbau der bürokratischen Planwirtschaft und nach Schaffung marktwirtschaftlicher Strukturen seien „keine Vorbedingungen, sondern sachliche Voraussetzungen, damit unsere Hilfe überhaupt greifen kann“.

Vogel unterstrich auch in dieser Frage die Übereinstimmung zwischen Sozialdemokraten und Regierung. Auch die Vorstellungen über die Schaffung eines Devisen-Reise-Fonds und die Notwendigkeit von Soforthilfe etwa im medizinischen Bereich ähnelten sich sehr. In der Stunde nationaler Herausforderung müßten parteipolitische Überlegungen beiseite geschoben werden. Er wandte sich entschieden gegen eine Bevormundung der DDR-Bürger bei deren Entscheidung über ihre Zukunft.

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Wolfgang Bötsch, sagte, die Bonner Hilfe für die DDR könne nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Die Union sei bereit, alles zu tun, um den Menschen auf ihrem Weg zu mehr Freiheit zu helfen. „Wir sind jedoch nicht bereit, Mittel aufzuwenden, damit der Sozialismus Bestand hat.“ Ähnlich äußerte sich der FDP -Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff. Seine Partei stelle außer der Selbstbestimmung für die DDR-Bürger keine Bedingungen. Grünen-Fraktionssprecherin Antje Vollmer zeigte sich enttäuscht von Kohls Deutschlandplan. Wenn die Konföderation ernst gemeint sei, müsse der DDR „politische Parität“ eingeräumt werden.

Berlins Finanzsenator Norbert Meisner (SPD) forderte von der Bundesregierung rasche finanzielle Hilfe angesichts der besonderen Belastungen der Stadt durch die Öffnung der Mauer. Außerdem müsse Bonn schnell eine Vereinbarung zum Schutz der DDR-Währung treffen, um die Ostberliner Führung nicht zu einer neuen Einschränkung der Freizügigkeit zu zwingen.

Brandt: Nichts gegen

Kohls Vorschlag

Der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt erklärte in Ost -Berlin, er habe nichts gegen die Vorschläge von Kohl einzuwenden. Sie seien „zunächst einmal nur eine allgemeine Skizzierung“.

Warschau: Wenn die

Grenze garantiert wird...

Warschau (dpa) - Nach Ansicht der polnischen Regierung müßte ein vereinigtes Deutschland die Garantien der DDR und der Bundesrepublik für den Bestand der Grenze an Oder und Neiße erneuern. Der Sprecher des polnischen Außenministeriums, Staniszewski, sagte am Dienstag in Warschau, es sei selbstverständlich, daß Staaten sich nur in ihren bestehenden Grenzen vereinigen dürften. Er verwies auf die Grenzgarantien im Görlitzer Vertrag mit der DDR von 1950 und im Warschauer Vertrag vom Dezember 1970.

Er wiederholte den polnischen Standpunkt, daß „eine eventuelle Wiedervereinigung, zum Beispiel in der Form einer Konföderation beider Staaten, nur unter den Bedingungen der Zustimmung beider Partner“, der vier Großmächte und unter Berücksichtigung der Interessen der anderen europäischen Staaten erfolgen könne. Dies „ist ein europäisches Problem und kann nur mit der Zustimmung ganz Europas erfolgen“.