Rebmann zieht RAF-Anklage zurück

Nach der Demontage des Schriftsachverständigen Ockelmann steht die Bundesanwaltschaft völlig nackt da Rolf Hartung saß neun Monate unschuldig in U-Haft / Mehrere Stammheimer Urteile stehen zur Disposition  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Generalbundesanwalt Kurt Rebmann hat die Anklage gegen den Düsseldorfer Rolf Hartung, der vor dem 5. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) wegen RAF-Mitgliedschaft und Beteiligung an Bombenanschlägen auf die Immerstaader Dornier Werke und das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz angeklagt werden sollte, einen Tag nach der taz -Veröffentlichung über die Demontage des Schriftgutachters Ockelmann zurückgezogen.

Dieser Schritt war unumgänglich geworden, nachdem der baden -württembergische LKA-Schriftsachverständige Dr. Kai Nissen die Gutachten von Ockelmann - auf die allein sich die Anklage stützte - „als methodisch fehlerhaft und vom Ergebnis her falsch“ bewertet hatte.

Der Anwalt von Hartung, Karl Heinz Bartens, erfuhr am Montag über den Weg des OLG-Stuttgart von der Entscheidung. In einem Beschluß des Gerichtes zur Aufhebung des Haftbefehls gegen Hartung, der neun Monate in U-Haft saß, heißt es: „Nachdem der Generalbundesanwalt die Anklage vom 22.2. 1989 am 24.11. wirksam zurückgenommen hat, liegt die Vorraussetzung für den Haftbefehl nicht mehr vor“.

Seit dem Nissen-Gutachten, so erklärte die Bundesanwaltschaft am Dienstag auf Anfrage der taz, lägen „seriöse Zweifel an der Beweiskraft des Gutachters Ockelmann“ vor. Tatsächlich gab es diese „seriösen Zweifel“ seit langem. Wiederholt hatte selbst die Schriftsachverständige des Bundeskriminalamtes Barbara Wagner, Ockelmanns Metho Fortsetzung Seite 4

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den massiv kritisiert. Der Verband der Schriftsachverständigen überzog Ockelmann wegen dessen dubiosen Praktiken sogar mit mehreren Ehrengerichtsverfahren. Doch die Bundesanwaltschaft ignorierte selbst die schwerwiegendsten Bedenken, weil Ockelmann immer diejenigen zu Urhebern erklärte, die von Rebmann gerade präsentiert wurden. Die Bitten der Verteidiger, weitere Gutachter hinzuzuziehen, wurden regelmäßig zurückgewiesen - auch von den Gerichten.

In den Stammheim-Verfahren ge

gen Luitgard Hornstein, Christian Kluth, Erik Prauss und Andrea Sievering, die mit langjährigen Haftstrafen endeten, spielten die Ockelmann-Gutachten eine wichtige, bei Frau Sievering die entscheidene Rolle. Am 18.1. 89 verurteilte das Stuttgarter OLG Erik Prauss und Andrea Sievering zu je neun Jahren Haft. Frau Sievering soll diejenige gewesen sein, die die Briefumschläge, mit denen die Bekennerschreiben zum Dornieranschlag verschickt worden sind, mit der Hand beschriftet hat. Das hat Ockelmann „hundertprozentig“ festgestellt. BKA-Gutachterin Barbara Wagner, die ebenfalls im Stammheimer Prozeß gehört wurde, ur

teilte dagegen lediglich, daß die Urheberschaft von Severing „möglich“ sei. In der sechsstufigen Skala zur Zuordnung der Urheberschaft bedeutet das Urteil „möglich“ für die Schriftsachvertändigen die schwächste Kategorie. Das Gericht lehnte einen Obergutachter ab und folgte voll Ockelmann.

Das Nissen-Gutachten werde man in bezug auf diese Verfahren „nicht einfach vom Tisch fegen können“, hieß es am Dienstag bei der Rebmann-Behörde dazu. Es solle aber niemand glauben, das alle Verfahren in den Ockelmann mitgewirkt habe, „jetzt quasi zum Freispruch vorprogrammiert sind“. Das Verfahren gegen Hartung ist noch nicht

eingestellt. Es sei zu prüfen, ob man aufgrund „anderer Beweismittel noch was machen kann oder nicht“.

Insgesamt ist die Karlsruher Behörde im Moment kleinlaut. „Immerhin“, so lautete die Verteidigungslinie, hätte ja auch der „besonders kritische 3. Senat am Bundesgerichtshof“ die Haftbeschwerde von Rolf Hartung abgelehnt. Das zeige, „daß die Sache so ganz aus den Fingern nicht gesogen“ gewesen sei. Tatsächlich zeigen die Begründungen des 3. Senats und des Ermittlungsrichters nur eins: In 129a-Verfahren findet bei Gericht eine vorurteilslose Prüfung nicht statt. Den Vorgaben der Bundesanwaltschaft wird fast standardisiert gefolgt.