In Teltow „ticken“ 70.000 Liter Gift

■ Umweltgruppe aus DDR-Betrieb warnt West-Berliner / Gefährliches Chemielager an der Grenze könnte Wasser und Luft verseuchen / Droht Zehlendorfern eine Giftgaswolke? / Potsdamer Behörden räumen Probleme ein / Umweltsenatorin deutet Hilfe an

Weil sie auch Gefahren für West-Berlin befürchten, haben sich jetzt Umweltschützer aus einem grenznahen DDR-Betrieb an den Westberliner BUND und Umweltsenatorin Schreyer gewandt. Die unabhängige Umweltschutzgruppe in dem VEB Elektronische Bauelemente in Teltow warnt vor einer „unmittelbaren Gefahr für Leben und Gesundheit der Bevölkerung in Teltow, Kleinmachnow und West-Berlin“. Der Betrieb, der zur Computerindustrie der DDR gehört, steht nur wenige hundert Meter von der Westberliner Stadtgrenze entfernt, direkt unterhalb des Zehlendorfer Ortsteils Schönow.

In einem 1988 angelegten Chemikalienlager des VEB EBT lagern etwa 70.000 Liter Lösemittelabfälle, darunter das krebsverdächtige Trichloräthylen - so steht es in einer Eingabe der Umweltgruppe an die Potsdamer Bezirksbehörden. Der Zustand dieses Lagers ist nach Ansicht der Umweltgruppe „äußerst bedenklich“. Etwa 240 teils rostige Fässer stünden in dem Lager bunt durcheinander, auf dem nackten Erdreich und unter freiem Himmel. Außerhalb des Lagers entdeckte die etwa zwölfköpfige Öko-Gruppe weitere Fässer mit Altöl und anderen Giftabfällen.

Die Betriebsumweltschützer vermuten deshalb, daß das Grundwasser bereits verseucht wurde. Den etwa 6.500 Beschäftigten des VEB EBT kann das die Lust am Kaffeetrinken verleiden - denn nur 250 Meter von dem Betrieb entfernt befindet sich ein Wasserschutzgebiet, aus dem der Betrieb sein Trinkwasser pumpt. Käme es in dem Chemielager zu einem Brand, dann fürchten die Öko-Bewegten eine Katastrophe. Dann könnten sich nämlich Schwefelsäure, Areosole, Phosgene und Dioxine bilden und als giftige, „riesige Gaswolke“ der Hauptwindrichtung hinterher nach West-Berlin treiben.

Die Potsdamer Behörden nahmen die Eingabe gestern durchaus ernst. Die „Sorge, daß Stoffe freigesetzt werden“, sei begründet, sagte der Leiter der Staatlichen Umweltinspektion des Bezirks Potsdam, Risse. Die Probleme seien ihm seit anderthalb bis zwei Jahren bekannt.

Noch im letzten Frühjahr hatte der Betrieb - so berichten die Betriebsumweltschützer - die Chemikalien einfach in ein Becken gekippt. Diesen einfachen Weg stoppten offenbar die staatlichen Gewässerschützer; doch seitdem wächst der Fässerberg in dem dubiosen Chemikalienlager. Das Problem, laut Umweltgruppe: Die Lösemittelabfälle werden nicht sortenrein gesammelt, sondern sie fallen in Mischungen an und werden teilweise auch zusammengekippt. Gemischt, das bedauerte gestern auch Risse, könnten die Abfälle weder verbrannt, noch deponiert oder wiederverwertet werden.

„Wir haben den Betrieb gedrückt“, sagte Risse. Der VEB EBT habe die Pflicht, die Lösemittel sortenrein zu sammeln und Abfälle ordnungsgemäß zu lagern. Ob entsprechende Auflagen vom Betrieb beachtet worden waren, konnte der staatliche Inspekteur allerdings nicht sagen - er sei nicht der Hauptzuständige. Risse verwies an den Chef der Potsdamer Umweltbehörde, den Rat für Umweltschutz im Rat des Bezirkes, Walter Reichert.

Reichert hatte, wie er auf taz-Anfrage erklärte, die Eingabe aus dem VEB EBT schon am Montag erhalten. Bis gestern hatte Reichert nach eigenen Angaben zwar noch nichts unternommen, versprach aber, „die Kontrollorgane“ zu beauftragen. Verbal stellte er sich hinter die Umweltschützer: „Ich stehe auf ihrer Seite.“ Zu den Hintergründen der Teltower Umweltsauereien konnte der oberste Umweltschützer des Bezirks gleichwohl nichts sagen. Eins allerdings erwähnte Reichert: den „hohen volkswirtschaftlichen Stellenwert“ des VEB in Teltow.

Bei Senatorin Schreyer war das Schreiben aus Teltow gestern noch nicht angekommen. Denkbare Lösungen für das grenzüberschreitende Umweltproblem deutete Schreyer-Referent Thomas Schwilling gestern aber schon an. Eine Destillationsanlage für Lösungsmittelgemische hätte nicht nur Ost-Inspekteur Risse gerne, sie fehlt auch in West -Berlin. Schwilling: „Wir müßten eine gemeinsame Lösung finden.“

hmt