Die Mauer ist gefallen

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Eine kurzfristige Programmergänzung der ARD bescherte unserer Ost-Berliner Kollegin M.M. Walther ein unerwartetes Wiedersehen mit einem bekannten DDR-Schauspieler:

(Der Jahrestag - oder das Paradies ist die Republik, Dienstagnacht, ARD) Der da ängstlich unterm Sargdeckel hervorspäht, ihn kühn beiseite schiebt, seinen Kopf - mit blutiger Narbe und Jakobinermütze - und sogleich auch seine Stimme zu flammender Rede erhebt, das ist ein „Held“ der Französischen Revolution, Pierre-Fran?ois Palloy. Einst Bauunternehmer, dann „Besieger der Bastille“, später Literat und Propagandist der Revolution, feierte er zum 200. Jahrestag fröhliche Auferstehung in Gestalt des Schauspielers und Dresdner „Brettl„-Chefs Friedrich-Wilhelm Junge.

Dessen Ein-Mann- und Drei-Musiker-Programm war schon erfolgreich während der Berliner Festwochen im Cafe Lampenfieber gelaufen und wurde nun vor wenigen Nächten vom SFB aufgezeichnet. Doch das ist beileibe keine verspätete Zweihundertjahres-Schaffe; denn einen Jahrestag, den 40., hatte jüngst auch eine andere Republik, die DDR. Und das war das Frappierende an dieser intelligenten und doppelbödigen Collage aus Texten und Liedern der Französischen Revolution sowie aus 40jähriger DDR-Geschichte: Ideale und Probleme der 200 Jahre zurückliegenden Revolution sind denen der anderen deutschen Republik durchaus verwandt.

Daß es in der DDR hervorragende Theaterleute gibt, auch heute noch trotz langjähriger Verluste, ist eine Binsenweisheit. Friedrich-Wilhelm Junge gehört zu den hierzulande weniger Bekannten, obwohl er schon im Bayerischen Staatsschauspiel in München gastierte und in diesen Wochen en suite im Hansa Theater in Berlin auftritt. Am Dresdner Staatsschauspiel, zu dem er - mit kurzer Unterbrechung - seit 1966 gehört, ist Junge als Erzkomödiant beliebt. Er probierte Neues aus, fand mit zwei anderen Dresdner Schauspielern eine DDR-Marktlücke, tingelte 15 Jahre mit erotisch-frechen frivolen literarisch -musikalischen Nachtprogrammen durch die Lande.

Im September 1988 gründete und leitet seitdem das „Dresdner Brettl“, ein künstlerisches Unternehmen, das gewiß auch zwischen Hamburg, München und Berlin noch von sich reden machen wird.

Besonderheit bei dem unverhofften Nachtvergnügen auch dies: Palloy-Junge fragt nachdenklich: Wie konnte dieses, ein der Tyrannei dienendes Bauwerk - und er meint die Bastille - so lange stehen? Im Publikum gab es auch Leute, für die es vor drei Wochen ein unvorstellbarer Gedanke gewesen wäre, bei einer SFB-Aufzeichnung - jenseits eines solchen Bauwerks dabei zu sein. Denen war ganz schon blümerant zumute.

M.M. Walther