Pleitgen-Interview

■ Betr.: "Sternstunde des Fernsehens", taz vom 25.11.89

betr.: „Sternstunde des Fernsehens“, taz vom 25.11.89

(...) War dieses „hartnäckige und respektlose“ Interview wirklich eine „Sternstunde des Fernsehens“, gar des Journalismus, wie es viele empfanden? Meine Antwort lautet eindeutig: Nein! Ein solches Interview ist nur mit einem Politiker möglich, der sich in einer aussichtslosen Defensive befindet und das auch weiß. Kaum jemand in der DDR und außerhalb der SED räumt diesem Mann eine politische Überlebenschance für einen Ostpfennig ein. Zur „Ehrenrettung“ Krenz‘ gehört allerdings der Hinweis auf seine fehlende Erfahrung im Umgang mit einer Presse, die unangenehme Fragen stellt. Und wie kritisch die Presse sein kann und sollte, wird uns tagtäglich in den DDR-Medien vorexerziert: Das sind die wahren Sternstunden des Journalismus, die uns im Westen Vorbild sein sollten.

Das Pleitgen-Interview hingegen wäre nur dann glaubwürdig, würden wir uns „unsere“ PolitikerInnen ebenso „hartnäckig und respektlos“ zur Brust nehmen. Solange wir das nicht fertig bringen, hat Pleitgens Umgang mit Krenz sehr viel mit Arroganz gegenüber einem objektiv Schwächeren zu tun. Erst wenn wir uns selbst soweit emanzipiert und „unsere“ PolitikerInnen entsprechend „erzogen“ haben, sollten wir „Ost-PolitikerInnen“ vorführen. Aber erwecken wir bitte nicht den Eindruck, als gehöre diese Art Journalismus bei uns zur Normalität. (...)

Norbert Müller, Hamburg 76