Europa im Kino

■ Ein Plädoyer für den Erhalt des „EuropaCinema„-Festivals, das gerade zum sechsten Mal in Viareggio stattfand

Lang lebe EuropaCinema!“ grüßte Simone Veil, Präsidentin des europäischen Film- und Fernsehjahres 1988, das Festival EuropaCinema, das seinen fünften Jahrestag letztes Jahr in Bari feierte. Es gab genügend Grund zur Annahme, daß das Festival nicht lange leben würde. 1984 in Rimini geboren, wurde es schon nach vier Jahren wieder von dort vertrieben. Venedig bangte um seine Vormachtstellung, und die Kulturpoliiker verweigerten die Subventionsgroschen.

Alle Petitionen nützten nichts. Die lange Liste der Befürworter einer Weiterführung des Festivals enthielt unter anderem die Namen: Fellini, Jack Lang, Olmi, Almodovar, Angelopoulos, Antonioni, Charlotte Rampling, Marcello Mastroiani oder Greta Sacchi. EuropaCinema mußte auswandern. In Bari dann konnte man schon im letzten Jahr Nuovo Cinema Paradiso, einen der diesjährigen Gewinner des Europäischen Filmpreises, sehen sowie Au revoir les enfants von Louis Malle und Distant Voices, Still Lives von Terence Davis, die kurz darauf für den Felix nominiert wurden. EuropaCinema war also im Gegensatz zum Europäischen Filmpreis nicht nur Qualitätsbehauptung, die Filme wurden auch gezeigt, die Behauptung war überprüfbar.

Am Anfang von EuropaCinema stand ein großartiges Konzept, das mit seiner diesjährigen Veranstaltung den absoluten Tiefpunkt erreicht hat. Von 1984 bis 1988 hatte man zwei Filmreihen einander gegenübergestellt, die den Zustand des europäischen Kinos transparent werden ließen: eine Kritikerauswahl der besten Filme und seine Serie der Box -Office-Erfolge. Das gab für die BRD z.B. Die Macht der Gefühle von Alexander Kluge auf der einen Seite und Die unendliche Geschichte auf der anderen.

Eine andere Reihe präsentierte einen Drehbuchautor, im ersten Jahr Franco Solinas, Schreiber für Costa Gavras, Sergio Corbucci, Joseph Losey und Nicolas Ray. Dann folgten Jean-Claude Carriere, Harold Pinter und Suso Cecchi D'Amico. Mit dem Nachwuchs beschäftigte sich eine Serie von Filmschulproduktionen. Zusammen ergab dies einen überblick über den Zustand des Kinos in Europa, und man konnte am Beispiel diskutieren, was typisch für den europäischen Film war, über die bekannte Tatsache hinaus, daß er nicht amerikanisch ist.

Dieses Jahr mußte die Veranstaltung wieder wandern, sie fand vom 18. bis 23.November in Viareggio statt, und sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der Grund: Erst sechs Wochen vor Beginn stand endgültig fest, daß das Festival stattfinden konnte und wo. Erst dann konnte mit der Organisation und Filmbeschaffung begonnen werden. Das Ergebnis ist verständlicherweise nicht der Rede wert. Außer Ein Leben und sonst nicht von Bertrand Tavernier undStrapless von David Hare konnte man in der Eile keine nennenswerten Filme zeigen. Keine der erwähnten Serien konnten stattfinden.

Wenn es denn den europäischen Film zu feiern gibt, warum läßt man ein europäisches Filmfestival wie EuropaCinema nicht von den Feiermillionen des Europäischen Filmpreises profitieren? Schließlicn wäre dies auch der richtige Ort, die größtenteils unbekannten nominerten Filme zu zeigen, bevor man sie bejubelt.

Nächstes Jahr soll EuropaCinema wieder in Viareggio stattfinden, hoffentlich mit voller Kraft.

Gunter Göckenjan