„Es gibt keine 'abstrakte Einheit Swapo‘!“

■ Die Namibierin Bience Gawanas (33) arbeitet weiter für die Swapo, obwohl sie wie viele andere zu Unrecht als südafrikanische Spionin verdächtigt und gefoltert wurde / In einem Gespräch mit taz-Autor Hans Brandt fordert sie Gerechtigkeit und Menschlichkeit von ihrer Organisation / „Ich bin jedoch nicht verbittert“

taz: Kannst Du die Umstände Deiner Verhaftung beschreiben?

Bience Gawanas: Ich wurde im August 1988 verhaftet, nachdem ich England verlassen hatte, auf dem Weg nach Lusaka, wo ich meine Tochter besuchen wollte. Ich wurde in ein Gefängnis gesteckt, in Einzelhaft, fünf Monate lang, bis zu meiner Freilassung im Januar. Es hat mich ziemlich überrascht, daß ich freigelassen wurde, denn ich wußte inzwischen, daß von der Swapo verhaftete Leute sehr selten wieder freigelassen werden. Erst nachträglich habe ich erfahren, daß es in meinem Fall öffentliche Proteste gab. Meine Organisation hat zugegeben, daß sie einen Fehler gemacht hat. Trotzdem gehe ich davon aus, daß ich meine Freilassung den vielen Freunden und Unterstützern außerhalb der Organisation zu verdanken habe. Allerdings denke ich, daß sich auch Leute innerhalb der Organisation für mich eingesetzt haben.

Wie ist es Dir während Deiner Haft ergangen?

Ich war in Einzelhaft. Außerdem wurde ich, wie alle anderen auch, gefoltert. Ich sollte gestehen, eine südafrikanische Spionin zu sein. Das habe ich nach einem Tag auch getan. Ich wußte, daß ich letztlich keine andere Wahl hatte. Aber was die Behandlung betrifft, muß ich sagen, daß man nie besonders schlecht mit mir umgegangen ist. Andererseits weiß ich natürlich gar nicht, was gut und schlecht und schlechter unter solchen Umständen eigentlich heißt. Aber das Schlimmste für mich war in der Situation nicht etwa, daß ich geschlagen wurde oder daß man mich hungern ließ, sondern daß man mich tatsächlich beschuldigte, eine südafrikanische Spionin zu sein.

Welche Art von Geständnis hast Du abgelegt?

Ich habe eine schriftliche Erklärung abgegeben, und eine mündliche, bei der ich mit einem Video-Gerät aufgenommen wurde. Ich habe gesagt, daß ich 1976 von den Südafrikanern rekrutiert wurde, als ich an der Universität der westlichen Kapprovinz (in Südafrika) studierte. Daß ich im selben Jahr nach Namibia zurückkam und erneut von südafrikanischen Sicherheitsleuten hier in Namibia angesprochen wurde. Daß ich Namibia nach einer Weile mit dem Auftrag verlassen habe, im Ausland zu arbeiten. Daß es mein Auftrag war, Informationen über die Swapo-Führung zu sammeln - was ich von 1977 bis 1985 auch getan hätte.

Was stimmt an all dem?

Absolut nichts.

Einige Häftlinge haben nach ihrer Rückkehr nach Namibia eine eigene Partei gegründet, andere haben sich der „Demokratischen Turnhallen-Allianz“ (DTA) angeschlossen. Aber Du bist bei der Swapo geblieben. Warum?

Ich habe mich aus einem einzigen Grund entschieden, Mitglied der Swapo zu bleiben: Weil ich zwölf Jahre meiner Jugend geopfert habe; weil ich das Zusammenleben mit meinen Freunden geopfert habe; weil ich das Leben in meiner Heimat geopfert habe - für ein Ideal: für die Unabhängigkeit, die Befreiung, für die Freiheit. Ich glaube nicht, daß ich dieses Ideal während der Haft verloren habe. Im Gegenteil: Wenn die Haft irgendetwas bei mir bewirkt hat, dann nur, daß ich mich noch entschiedener für die Freiheit einsetzen werde. Auch als Mitglied der Swapo galt meine Loyalität immer primär dem namibischen Volk. Ich habe keine Zweifel, daß ich nach wie vor das Vertrauen des namibischen Volkes genieße.

Natürlich gib es Spione. Die Swapo war schließlich ein beachtlicher Gegner von Südafrikas Apartheidpolitik in Namibia. Zweifellos wollte Südafrika Informationen aus dem Inneren der Swapo haben. Man darf nicht vergessen, daß das alles sehr sensible Fragen sind. In meiner Stellungnahme gegen Spionage habe ich gesagt, daß ich sogar meinen eigenen Bruder oder meine eigene Schwester wegen Verrat an unserer Sache umbringen würde, wenn es einen Beweis dafür gäbe, daß sie Spione wären. Vielleicht habe ich übertrieben, aber Spionage ist eben wirklich kein Kinderspiel.

Ich glaube einfach nicht, daß man Hunderte von Leuten wegen Verdachts auf Spionage inhaftieren kann. Ich kenne viele verhaftete Leute, die Aktivisten waren, die loyal waren, die gebildet waren, junge Leute, die, genau wie ich, ihr Leben dem Kampf des namibischen Volkes gewidmet haben. Ich würde nicht beschwören, daß jemand kein Spion ist, bloß weil ich ihn persönlich gekannt habe. Aber solange es keine Beweise gegen jemanden gibt, gehe ich von seiner Unschuld aus.

Ich glaube auch, daß die willkürliche Verhaftung und Folterung von Leuten nie eine Anordnung der Swapo als Organisation war. Ich glaube, daß es eine konzertierte Aktion einzelner Personen innerhalb der Organisation war, um Verwirrung unter den NamibierInnen zu stiften. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß diese Leute die Swapo ruinieren wollten.

Aber warum sollten Mitglieder der Swapo die Organisation zerstören wollen?

Auf diese Frage erwarten wir alle eine Antwort von ihnen. Diese Frage ist nach wie vor offen. Nur sie selbst wissen, warum sie die Organisation zerstören wollten.

Was hältst Du von der Art, wie die Swapo bisher mit der Frage der Häftlinge umgegangen ist?

Die Swapo hat sich überhaupt nicht mit der Frage befaßt. Die Gründe dafür sind klar: Die Häftlingsproblematik hat einigen anderen Organisationen eine politische Plattform verschafft, über die sie sonst während der Wahl nicht verfügt hätten. Es war klar, daß die Swapo in die Defensive gedrängt werden sollte. Und es war klar, daß die Swapo das Spiel nicht mitspielen würde, das die Südafrikaner für sie vorbereitet hatten. Deshalb sage ich, daß die Swapo sich mit der Frage überhaupt nicht beschäftigt hat.

Für mich geht es bei der Frage der Häftlinge auch gar nicht um die Wahlen, nicht darum, welche Partei nun gewinnt oder verliert. Ich jedenfalls will nicht als Spielball kurzfristiger politischer Interessen irgendwelcher Parteien herumgeschubst und mißbraucht werden. Wenn ich einen konstruktiven Beitrag leisten soll, dann im langfristigen Interesse des gesamten namibischen Volkes. Bei der Frage der Häftlinge geht es um Gerechtigkeit, um Menschenrechte, und es geht um die Verweigerung der angemessenen Untersuchung eines Problems. Deshalb muß diese Frage thematisiert werden.

Wie hätte sich die Swapo dieser Frage denn annehmen sollen?

Vor allen Dingen hätte man die zurückkehrenden ehemaligen Häftlinge wie Menschen behandeln müssen, nicht wie Schachfiguren in einem politischen Spiel. Es hat mich sehr verletzt, daß die Organisation ohne Rücksicht auf die Gefühle der Opfer an die Frage herangegangen ist. Ich kann für mich selber sagen, daß es nicht leicht war, nach zwölf Jahren Exil zurückzukehren. Ich muß mich den veränderten Gegebenheiten zu Hause anpassen. Ich muß versuchen, neu anzufangen, und das ist ohnehin schwierig genug. Das gilt natürlich erst recht, wenn Du gerade aus der Haft entlassen worden bist. Du mußt versuchen herauszufinden, ob die Leute Dir überhaupt noch trauen, ob Du in der namibischen Gesellschaft noch akzeptiert wirst. Und einige der ehemaligen Häftlinge, wenn nicht alle, waren voller Wut und Schmerz und unendlich verletzt, als sie zurückkamen. Ich will nicht, daß man sie jetzt verurteilt, nur weil sie in dieser Situation bestimmte Entscheidungen getroffen, weil sie sich öffentlich geäußert haben, weil sie irgendwelchen anderen Organisationen beigetreten sind.

Natürlich kann man sagen, „aber Bience ist doch auch ein ehemaliger Häftling, warum ist Bience bei der Swapo geblieben, warum haben die andern das nicht getan?“ Ich glaube, daß wir es hier mit sehr emotionalen, sehr persönlichen Fragen zu tun haben. Welche Entscheidungen die Leute auch immer getroffen haben, diese Entscheidungen wurden einfach aus einer sehr schmerzlichen Situation heraus getroffen. Ich kann Dir versichern, daß viele dieser Leute unter anderen Umständen ganz andere Entscheidungen getroffen hätten; daß sie loyale Swapo-Unterstützer und -Mitglieder geblieben wären.

Hast Du Schwierigkeiten gehabt, wieder in der Swapo akzeptiert zu werden?

Ich hatte absolut keine Probleme. Als ich nach Luanda (Hauptstadt von Angola, d.Red.) kam, habe ich viele meiner Genossen getroffen und sie waren alle froh, mich wiederzusehen, froh, daß ich noch lebe. Ich habe mich nie fehl am Platze gefühlt. Was vielen von uns Mut gemacht hat, auch wenn einzelne uns schief angeguckt haben, war die Tatsache, daß wir die Wahrheit, die Gerechtigkeit auf unserer Seite hatten. Das hat mir die Kraft gegeben, unter allen Umständen durchzuhalten. Das Schönste für mich war, nach Hause zu kommen und festzustellen, daß meine Familie nach wie vor voll hinter mir steht. Und vor allem, daß sie mir sagen: „Egal was passiert, wir vertrauen Dir!“ Mehr kann ich wirklich nicht verlangen.

Was glaubst Du, warum haben sie Dich verhaftet?

Ich weiß es nicht. Denkbar wäre, daß es passierte, weil ich zum Damara-Stamm gehöre. Manche meinen, daß es Tribalismus war, daß die Leute alle Nicht-Ovambos entfernen wollten. Aber dann wurden ja auch Ovambos festgenommen. Andererseits gab es Hereros, Damaras und Namas, die nicht verhaftet wurden. Andere sagen mir: „Vielleicht haben sie Dich festgenommen, weil Du so gebildet bist.“ Ich sage, vielleicht, ja, denn ich bin gut ausgebildet. Andere sagen: „Vielleicht ist es passiert, weil Du kein Blatt vor den Mund nimmst.“ Das stimmt auch - ich habe mich immer ganz offen über die Angelegenheiten der Bewegung geäußert. Aber letztendlich weiß ich nicht, warum sie mich verhaftet haben.

Hältst Du es denn für legitim, die Organisation zu kritisieren?

Ich denke, daß ich als Mitglied der Organisation das Recht habe, Kritik zu äußern. Natürlich ist es schwierig, vor allem wenn man im Exil arbeiten muß. Wir waren eine Befreiungsbewegung. Es hieß, daß die Organisation eine sehr breite Basis habe: Schwarze, Weiße, Grüne und Braune, Mitglieder aller Klassen, Menschen mit den unterschiedlichsten Ansichten. Ich hätte angenommen, daß eine solche nationale Befreiungsbewegung mehr Raum für Kritik läßt, wenn etwas schief geht. Innerhalb der Organisation war das, glaube ich, nicht unbedingt der Fall. Kritik galt manchmal als etwas Schlechtes, als reaktionär usw. Das soll allerdings nicht heißen, daß konstruktive Kritik in manchen Fällen nicht akzeptiert wurde.

Wie sollte die Swapo denn in Zukunft mit der Frage der Häftlinge umgehen?

Einer der Swapo-Führer hat den wichtigsten Punkt doch fast exakt getroffen: Er hat bei einer Versammlung hier in Rehoboth zugegeben, daß Leute als feindliche Agenten verhaftet wurden, daß aber auch unschuldige Leute darunter waren. Er erklärte, daß Folter, egal wo sie stattfindet, von niemanden geduldet werden kann. Deshalb entschuldigte er sich im Namen der Organisation bei den Opfern und ihren Eltern. Und er versprach, daß man die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen werde.

Viele Leute werden denken, daß wir die Bestrafung der Verantwortlichen fordern, weil wir festgenommen wurden, weil wir wütend sind und uns rächen wollen. Aber ich kann Ihnen versichern, daß das nicht stimmt. Ich bin nicht verbittert. Manche Leute werden sagen, daß irgendetwas mit mir nicht stimmt, wenn ich nach diesen Erfahrungen nicht verbittert bin. Aber ich bin es nicht. Mein einziger Wunsch ist, daß diese Leute all die Fragen beantworten, die viele von uns und - da bin ich mir ganz sicher - auf allen Ebenen der Swapo-Hierarchie, jetzt haben. Nur die Leute, die hinter dieser ganzen Angelegenheit gestanden haben, wissen Bescheid.

Welche Rolle kann die internationale Gemeinschaft beim Umgang mit dieser Frage spielen?

Viele Leute würden sagen, daß dies eine Frage von weltweitem Interesse ist, nicht allein eine namibische Frage, und daß sich die Swapo deshalb nicht alleine damit befassen kann. Aber ich denke, man muß uns die Chance lassen, dieses Problem unter uns zu lösen. Ich will nicht sagen, daß das Ausland gar nichts tun soll, aber ich glaube, man hat uns noch keine faire Chance gegeben, alleine mit dem Problem fertig zu werden. Einige Solidaritätsorganisationen im Ausland haben beispielsweise schon erklärt, daß sie die Unterstützung der Swapo einstellen werden. Aber sie haben ihre Hilfe doch nicht an eine „abstrakte Einheit Swapo“ gegeben! Swapo vertrat die Interessen des gesamten namibischen Volkes. Wenn man also die Hilfe aufgibt, dann verweigert man unschuldigen NamibierInnen, Tausenden von Männern, Frauen und Kindern, die Möglichkeit, sich mit Hilfe dieser Unterstützung weiter zu entwickeln. Ich sage also: Laßt uns die Swapo kritisieren!

Natürlich ist es hilfreich, daß jede Regierung und Organisation äußeren Kontrollmechanismen unterworfen ist. Trotzdem - gebt uns eine Chance! Ich habe das Gefühl, daß die Swapo fähig ist, diese Geschichte selbst zu klären, wenn man ihr nur die Gelegenheit dazu gibt. Sollte mich mein Gefühl nicht täuschen, sind immer noch etliche von uns in der Lage, innerhalb der Organisation entsprechenden Druck auszuüben, um sicherzustellen, daß diese Angelegenheit nicht in Vergessenheit gerät.

Ich weiß auch nicht, ob der Druck von außen, egal welcher Art, so effektiv sein kann, wie das einfache Vertrauen auf die Menschlichkeit, auf die Loyalität von Leuten innerhalb der Organisation. Dieselbe Loyalität, die einige von uns bewogen hat, in der Organisation zu bleiben, muß es doch auch bei anderen Leuten geben. Das ist meine Hoffnung für die Zukunft: Daß es politische Führer gibt, denen das nicht egal ist, denen Namibia am Herzen liegt. Ich hoffe, daß man auf ihre Menschlichkeit zählen kann und daß sie etwas tun werden. Ich kann mir vorstellen, daß wir sonst jedes Mal, wenn etwas passiert, auf weltweite Appelle angewiesen sein werden: „Bitte übt Druck auf die Swapo aus, damit sie dies oder jenes tut.“ Ich hoffe, daß die Menschlichkeit sich behaupten wird.