Vom Randgebiet zur Ost-West-Drehscheibe

Die oberfränkische Stadt Hof versucht mit dem Massenansturm aus der DDR zu leben - „Trabi-Tune-Up“, Deutschland-Euphorie und gedämpfte Goldgräberstimmung gehen munter durcheinander / „Kontrolliertes Chaos“ grassiert  ■  Aus Hof Bernd Siegler

„Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und auf den Zufall vertrauen“ - Dieter Döhla, Bürgermeister der oberfränkischen Stadt Hof, ist sich im klaren darüber, daß der Ansturm der DDR-Bürger nicht spurlos an der 51.000 -Einwohner-Stadt vorübergeht. Teilweise tummelten sich in Hof pro Tag über 100.000 Besucher aus dem Osten, um das Begrüßungsgeld sofort in Waren umzusetzen.

Obwohl derzeit täglich nur mehr knapp 30.000 Besucher aus der DDR gezählt werden, gleicht die Stadt nach wie vor einem einzigen Laden für Südfrüchte. In eilig zusammengezimmerten Ständen werden entlang des Trampelpfades vom Bahnhof in die Fußgängerzone die „Segnungen“ des Westens für teures Geld feilgeboten. Die Dose Coca-Cola ist nicht unter 1,50 DM zu haben, das Kilo Bananen selten unter 2,50 DM. Nach wie vor finden am Hauptbahnhof das Teenieblatt „Bravo“ und Billig -Pornomagazine wie „Schlüsselloch Extra“ für 4,30 Westmark den gleichen reißenden Absatz wie die für dreimal Begrüßungsgeld in den Kaufhäusern erhältlichen „Super-Radio -Doppel-Casetten-Recorder“. Den Hofern bleibt da meist nur vornehme Zurückhaltung. Es kursiert der Witz: „Stell dir vor, ich war in der Stadt und habe sogar einen Hofer gesehen.“

Auch wenn der Ansturm langfristig zurückgeht, wird Hof in Zukunft aufgrund seiner Lage erste Anlaufstelle für die südliche DDR, von Jena bis Leipzig und von Plauen bis Dresden bleiben. Vor allem der Verkehrsstrom der 15.000 Trabis und Wartburgs in die grenznahe Stadt führt derzeit noch zu chaotischen Zuständen und bietet Anlaß für Smogalarm. Mit Parkplätzen am Rand der Stadt, einem Ausbau des Park&Ride-Systems und einem verstärkten Einsatz der Bundesbahn will die Stadtverwaltung diesem Problem zu Leibe rücken.

„Hof soll wieder zum Eisenbahnknotenpunkt der früheren Jahre werden“, fordert Döhla. Obwohl es bereits wieder tägliche Verbindungen nach Plauen, Leipzig, Zwickau und Dresden gibt und bis zu 20 Sonderzüge in Hof eintreffen, häufen sich in den Leserbrief-Spalten der 'Hofer Frankenpost‘ die Beschwerden über die „stinkende und qualmende Blechlawine aus der DDR“. Andere schreiben, daß schon am frühen Nachmittag Südfrüchte, Milch und Brot ausverkauft seien.

Der Einzelhandel klagt über das Ausbleiben der Stammkundschaft und vor allem über den Umsatzrückgang bei teuren Waren. Und auf ein hilfloses „Ich weiß gar nicht, was ich hier kaufen soll“ aus dem Munde eines DDR-Bürgers kommt schon mal die bissige Bemerkung „Hättet Ihr doch euren Honnie eher niedergetreten“. Doch noch überwiegt der Jubel gegenüber den Unmutsäußerungen, noch immer erfeuen sich Hofer Bürger an den „beglückten, suchenden und dankbaren Augen“ der DDR-Bürger. Döhla hofft, es bleibt so.

Daß die Deutschlandeuphorie obsiegt, ist nicht nur ein Verdienst von Bundesregierung und örtlicher CSU. Am 19.November hat die SPD ihr Zeichen gesetzt. Ihr Bundesvorsitzender Hans-Jochen Vogel lud nach Hof zum „Vogtland-Fest“ ein. Dort gab es dann Würstchen und Bier zum Wechselkurs 1:1. Mit dem Namen wollten die Sozialdemokraten an die frühere vor allem wirtschaftliche Einheit des Hofer Landkreises mit dem Süden Sachsens und Thüringens erinnern.

Doch es herrscht nicht nur Randgebietsoptimismus in Hof. So warnte der Plauener Superintendent Thomas Küttler aus der DDR bei seinem Besuch in Hof vor der Wiedervereinigung und forderte statt dessen, „modellhaft darüber nachzudenken, als ein Volk in zwei Staaten zu leben“. Sein Kollege Johne aus Oelsnitz verlangt, daß das Gerede um die Grenzen von 1937 „endlich verstummen“ solle.

Dabei kommt Hof die seit zwei Jahren bestehende Städtepartnerschaft zum nur 28 Kilometer entfernten Plauen zugute. „Das bekommt jetzt eine völlig neue Qualität“, betont Bürgermeister Döhla. Die Kontakte machen die Gruppen und Vereine selbst, ohne bei der Stadt nachzufragen. „Wir können uns jetzt auf die wirtschaftlichen Verbindungen konzentrieren“, lautet Döhlas Devise. Er hofft, daß „nach 40 Jahren Randlage die Stadt zur Drehscheibe zwischen Ost und West“ wird.

Schon im nächsten Jahr soll in Hof ein Fachgeschäft eröffnet werden, in dem die weltberühmten Plauener Spitzen verkauft werden. Das Hofer Bier, das vor 1945 zu 90 Prozent in den Regionen Sachsen und Thüringen verkauft worden war, soll wieder in der DDR fließen. Für Hof bietet sich die Chance, die Abwanderung aus dem Grenzland zu stoppen. Dementsprechend schnell will die Stadt neue Gewerbeflächen ausweisen und versuchen, durch städteplanerische Aktivitäten „eine kontinuierliche Entwicklung zu gewährleisten“. Die bereits eingesetzte Aufwärtsentwicklung der Grundstückspreise kann nicht gestoppt werden, aber es soll zumindest damit verhindert werden, daß „Goldgräber und Hektiker nur eine schnelle Mark machen“.

Vor dem erhofften Aufschwung gilt es für Hof erst einmal, das „kontrollierte Chaos“ (Polizeisprecher) in Hof zu beherrschen. Dazu haben die Bürgermeister der grenznahen oberfränkischen Städte in einer gemeinsamen Resolution jetzt gefordert, die Geschäfte an den Sonntagen wieder geschlossen zu halten und die Zahlung des Begrüßungsgeldes ab Januar einzustellen. Schon am nächsten Wochenende bleiben die kommunalen Auszahlungsstellen geschlossen. Allein in Hof mußten an Wochenenden bisher mehr als 370 städtische Mitarbeiter Dienst leisten. Mit der Auszahlung von derzeit 36 Millionen DM liegt Hof mit weitem Abstand an der Spitze aller bayerischen Städte. Auch die Banken haben signalisiert, daß es so nicht weitergehen könne. Deren Sprecher Norbert Ulbrich warnt: „Auf Dauer kann die Privatwirtschaft die Auszahlung des Begrüßungsgeldes nicht leisten.“ Während sich die sächsische und bayerische Polizei inzwischen auf den Austausch von Daten zur aktuellen Verkehrslage verständigt hat und ein Hofer Autohändler das „Trabi-Tune-Up“ in sein Angebot aufgenommen hat, streicht die Stadt Hof jetzt erst einmal die kostenlose Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel für DDR-Bürger. Auch die „Freiheitshalle“ wird nicht mehr länger für Übernachtungen zur Verfügung stehen. Dort könne dann wieder „Die Flippers“ und „Die lustigen Musikanten“ das Herz der Hofer erfreuen.