Asylrecht sogar für RevolutionärInnen

Bundesverfassungsgericht hebt das umstrittene „Tamilenurteil“ des Bundesverwaltungsgerichts auf / Auch politischen StraftäterInnen und SeparatistInnen kann Asyl gewährt werden / Nur bei „terroristischen“ Gewalttaten kein Bleiberecht  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - In einer mit Spannung erwarteten Entscheidung hat jetzt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die bisherige Asylrechtsrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in einigen wichtigen Grundsätzen korrigiert. Mit ihrem Beschluß, der offenbar nach langen Diskussionen am Dienstag veröffentlicht wurde, gaben die Karlsruher Richter der Verfassungsbeschwerde von drei tamilischen Flüchtlingen statt. Die Verfassungsklagen waren stellvertretend aus dem Kreis von 1.000 derzeit noch anhängigen Verfassungsbeschwerden tamilischer Asylsuchender behandelt worden. Die besondere Brisanz dieser Entscheidung: auf 52 Seiten äußern sich die Verfassungsrichter vor allem zu der Streitfrage, inwieweit politische Straftäter, Angehörige von Guerillaorganisationen, separatistischen Bewegungen und Bürgerkriegsparteien in der Bundesrepublik Asyl genießen. Anders als die Bundesverwaltungsrichter gestehen die Karlsruher Richter diesen Gruppen nun weitgehenden Schutz zu.

Einer der Kernsätze des aufsehenerregenden Verfassungsbeschlusses lautet: Politisch motivierte Straftäter können grundsätzlich auch dann in der Bundesrepublik als verfolgt anerkannt werden, wenn ihr Heimatstaat mit ihrer Verfolgung nur das „Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt“.

„Ein Urteil von ganz, ganz wesentlicher Bedeutung“ nannte die Anwältin eines der drei erfolgreichen Beschwerdeführer, Veronika Arendt-Rojahn, die Karlsruher Entscheidung. Das Urteil sei vor allem für Asylsuchende aus Staaten wie etwa der Türkei oder Sri Lanka wichtig, wo Unabhängigkeitsbewegungen um eine politische und kulturelle Eigenständigkeit kämpfen. Eine „Aufbauspritze für ein dahinsiechendes Grundrecht“ lobte gestern die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“.

Mit ihrer Entscheidung hoben die Karlsruher Richter das auch in Juristenkreise heftig umstrittene „Tamilenurteil“ des Bundesverwaltungsgerichts auf. Die Bundesverwaltungsrichter hatten 1985 und 1986 entschieden, daß tamilische Flüchtlinge in ihrer Heimat nicht als Gruppe politisch verfolgt werden und daher allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit keinen Anspruch auf Asyl in der Bundesrepublik haben.

Begründet hatten die Bundesverwaltungsrichter diese Entscheidung unter anderem damit, daß die von der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit gestellte Regierung Sri Lankas die tamilische Minderheit nur deswegen verfolgt, um separatistische Bestrebungen abzuwehren und die Einheit des Staates zu retten. Dieser „subjektiven Motivation“ eines Verfolgerstaates erteilten die Bundesverfassungsrichter nun eine klare Absage.

Entscheidend seien nicht die subjektiven Gründe des Verfolgenden, sondern das Ausmaß der tatsächlichen Verfolgungsmaßnahme. Dabei können auch Maßnahmen der „staatlichen Selbstverteidigung“, etwa gegen separatistische oder politisch-revolutionäre Bewegungen, asylrechtsbegründend sein. Das gelte auch für politisch motivierte Straftäter. Die Grenze des Asylrechtsschutzes sehen die Verfassungsrichter erst dann überschritten, „wenn der Asylsuchende seine politische Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel betätigt hat, also insbesondere unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter“. Hier, so entschieden die Richter, habe der Staat die Aufgabe, im Zuge der Prävention und Terrorabwehr die Sicherheit seiner Bürger aufrechtzuerhalten. Deute allerdings die Intensität der Terrorismusbekämpfung darauf hin, daß der Staat nicht nur die öffentliche Sicherheit aufrechterhalten will, sondern politische Gegner und die sie unterstützende Zivilbevölkerung bekämpfen will, könne durchaus ein Asylgrund gegeben sein.

Ähnlich äußert sich das Bundesverfassungsgericht auch zu der umstrittenen Frage, ob ein Bürgerkrieg einen Asylgrund darstellt. Hier konstatieren die Richter, daß dann keine „asylrelevante“ politische Verfolgung gegeben sei, wenn der Staat in diesem Bürgerkrieg zu einer der kämpfenden Parteien geworden ist und als effektive Ordnungsmacht nicht mehr besteht. Allerdings müsse auch hier geprüft werden, ob der Staat diesen Bürgerkrieg in einer Weise führt, die „auf die physische Vernichtung“ der Menschen auf der Gegenseite gerichtet ist, oder „wenn die staatlichen Handlungen gezielt der physischen Vernichtung oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität des gesamten aufständischen Bevölkerungsteils umschlagen.„(AZ: BvR 502/86,1oo/86, 961/86).

Die Verfassungsrichter entschieden, daß die strittigen Verfahren nun erneut an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen werden, das mit seiner umstrittenen Entscheidung vor vier Jahren dafür gesorgt hatte, daß die mehr als 10.000 tamilischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik kaum noch eine Chance auf Anerkennung als politisch Verfolgte hatten. Wegen des anhaltenden Bürgerkriegs in ihrer Heimat werden sie seitdem in der Bundesrepublik nur „geduldet“ und haben keinen Rechtsanspruch auf einen Aufenthalt.