Konföderation pro und kontra

■ Reaktionen auf Kohls 10-Punkte-Plan und die Bundestagsdebatte

Helmut Kohl läßt seinen 10-Punkte-Plan durch die Botschafter in aller Welt zur diplomatischen Offensive machen. Egon Krenz dagegen läuft nur noch hinterher und hat jetzt auch den Aufruf von Christa Wolf für „eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik“ unterschrieben.

Die Frage ist, ob das den Aufruf populärer macht.

„Noch haben wir die Chance einer sozialistischen Alternative zur BRD“, titelte gestern das 'Neue Deutschland‘ und setzte damit den Kontrapunkt zur großen Koalition im Bonner Bundestag. Das Kohlsche 10-Punkte-Programm war dem Zentralorgan der SED nicht die prominente Plazierung wert, die der Appell namhafter DDR-Persönlichkeiten für eine eigenständige sozialistische DDR erhielt. Auch Parteichef Krenz setzte gestern seine Unterschrift unter den Appell, mit dem eine Unterschriftenkampagne für die Eigenstaatlichkeit der DDR gestartet werden soll.

Ob Unterstützung durch den SED-Chef der Wirkung des Aufrufs zugute kommt, ist jedoch zweifelhaft, hatten doch die Initiatoren Wert darauf gelegt, daß nur „integre, unbelastete Personen“ mit dem Aufruf in Verbindung gebracht werden. Aus diesem Grund war der ehemalige Spionagechef Markus Wolf, der zu den forschesten Reformern innerhalb der Partei zählt, nicht in den Initiatorenkreis aufgenommen worden.

Alles in allem fielen die DDR-Reaktionen auf den Bonner Stufenplan zur Schaffung konföderativer Strukturen überraschend moderat aus. Krenz, der am Wochenende in einem Interview die Konföderation noch an die vorherige Auflösung der Blöcke geknüpft hatte, reagierte gestern wolkig, aber nicht grundsätzlich ablehnend: Wenn man das Wort Konföderation so begreife, daß die Existenz zweier unabhängiger Staaten gewährleistet sei, dann könne man über alles reden. Im Hinblick auf die Wiedervereinigungsoption, die mit dem Bonner Konföderationsplan ja nicht vom Tisch ist, meinte Krenz kategorisch, die Einheit stehe nicht auf der Tagesordnung. Zur Bonner Forderung nach Marktwirtschaft in der DDR betonte er erneut die Bereitschaft, mit der Bundesrepublik zu kooperieren. Allerdings sei man nicht bereit, politische Vorbedingungen zu akzeptieren.

Schärfer als der Parteichef reagierte die neue DDR -Regierung. Ihr Sprecher Meyer erklärte, die Kanzlerinitiative gehe an den Realitäten vorbei und könne leicht zu Irritationen führen. Die im Grundlagenvertrag und in der Schlußakte von Helsinki festgeschriebene Souveränität und Unabhängigkeit beider Staaten werde außer acht gelassen. Niemand in Ost und West aber wolle eine Veränderung des europäischen Gleichgewichts. Kritisiert wurde von Meyer die unklare Formulierung in Sachen Konföderation, da dieser Begriff doch das Verhältnis zweier souveräner Staaten beschreibe; Kohl habe es vermieden, hierzu eindeutig Stellung zu beziehen.

Der Regierungssprecher verwies, ähnlich wie Krenz, darauf, daß sich „apodiktische Forderungen an die Adresse der DDR“ erübrigten. Interessant ist die Begründung: Meyer hebt nicht darauf ab, daß die BRD-Wünsche an die innere Entwicklung den Vorstellungen der DDR-Regierung widersprechen, sondern verweist auf den Gesetzgebungsplan des Ministerrates. Die Bundesregierung renne „offene Türen“ ein; will heißen, man verbitte sich in Ost-Berlin zwar die bevormundenden Töne, liege aber ansonsten mit der Reformpolitik auf der Linie der Bonner. Ohne konkreter zu werden, sprach Meyer in Hinblick auf die Bonner Vorschläge von „interessanten Ansatzpunkten“ für zukünftige Verhandlungen und kritisierte lediglich, daß im Kohl-Konzept die Punkte Friedenssicherung und Abrüstung fehlten.

Im Gegensatz zur zurückhaltenden Antwort aus Ost-Berlin waren die osteuropäischen Reaktionen auf den Kohl-Plan durchgehend skeptisch. Gorbatschow-Berater Wadim Sagladin betonte, daß die UdSSR auf die sicherheitspolitische Schlüsselrolle der DDR nicht verzichten werde. Das sei eine „Frage auf Leben und Tod“. Die polnische Regierung ihrerseits befürchtet, daß mit einer „Wiedervereinigung“ auch die polnische Westgrenze in Frage gestellt würde. Gewerkschaftsführer Lech Walesa ging noch einen Schritt weiter: Jede Aktion mit dem Ziel, „in Europa irgend etwas zu vereinigen“, sei zum Scheitern verurteilt.

Das Organ der tschechoslowakischen KP, 'Rude Pravo‘, sieht die „führenden Kreise der BRD“ dabei, die DDR zu vereinnahmen. Die Existenz zweier deutscher Staaten sei aber die unverzichtbare Grundlage des europäischen Gleichgewichts. Selbst Ungarn zeigte sich von der Perspektive eines deutschen Einheitsstaates wenig begeistert. Die Budapester Zeitungen begnügten sich gestern damit, die negativen Kommentare aus Polen und der UdSSR wiederzugeben.

Matthias Geis