„Und jetzt erreiche ich das Jahr 1990“

■ HIV-Positiv: Zwei Infizierte berichten über ihren Kampf gegen die Krankheit und für ein Leben vor dem Tode

Seit acht Jahren geht in der BRD das Aids-Gespenst um. Seitdem kämpfen Infizierte und Kranke mit ihren eigenen Ängsten und mit den Ausgrenzungen ihrer Umgebung, auch der schwulen. Es gibt Veränderungen. Aids ist sehr viel mehr eine Krankheit der Schwulen geblieben, als zu Beginn gemutmaßt. Innerhalb der Szene gibt es Infizierte, Kranke, Tote in nächster Nähe. Zwei Aids-Positive berich

ten, zwei, deren Laborwerte sich verschlechtern, aber die sich entschlossen haben, ihrer Krankheit aktiv entgegenzutreten: M., ein Arzt, der seit 1981 und H., arbeitssuchender Bürokaufmann, der seit 1986 weiß, daß er HIV-positiv ist.

taz: Wenn ich so lange damit umgehen würde wie Du, ich glaube, ich würde irgendwann mal den Entschluß fassen: Ich sterbe da nicht dran.

M.: Ich glaube, ich würde heute nicht mehr leben, wenn ich diesen Entschluß nicht irgendwann gefaßt hätte, oder wenn ich ihn nicht ständig wieder fassen würde. Wenn es dir dann wirklich schlechter geht, dann bricht auch die Stabilität, die körperliche und die psychische, irgendwann mal zusammen. Aber insgesamt ist das, glaube ich, sehr wichtig, da eine Einstellung zu entwickeln:

So, ich kämpfe und ich will dem was entgegensetzen. Auch diesen düsteren Prognosen. Am Anfang geisterte durch die Presse: Jeder Infizierte wird an Aids sterben. 1983 habe ich gedacht, ich überlebe Silvester nicht. Und jetzt komme ich ins Jahr 1990. Und ich glaube, das hat wirklich etwas mit der Einstellung dazu zu tun.

H.: Ich kann garnicht beschreiben, wie stark die Belastung gewesen ist, als ich 1986 erfahren habe, daß ich HIV-positiv bin. Ich habe seit 1981, seitdem ich alkoholabstinent bin, alles neu aufbauen müssen: meine gesamte Persönlichkeitsstruktur, mein soziales Umfeld - seit 1981 lebe ich aus, daß ich schwul bin - meine berufliche Situation: ich habe mich zum Bürokaufmann umschulen lassen. Vier Wochen vor der schriftlichen Prüfung kriegte ich dann das Testergebnis am Telefon mitgeteilt: positiv. Da war bei mir im Kopf: O nein! Jetzt hast Du soviel gemacht und hast jetzt vielleicht noch anderthalb Jahre zu leben. Wozu hast Du das alles gemacht? Und heute lebe ich immer noch. Und ich glaube jetzt, daß ich noch in die 90er Jahre hineinkomme. Aber ich habe auch mit Leuten darüber gesprochen, habe mir die sorgfältig ausgesucht, das HIV-Cafe und das Rat & Tat Zentrum war da sehr wichtig. Ich habe deshalb auch diese Studie am Hamburger Tropeninstitut mitge

macht ( Versuchs-Aids-Thera pie, U.S.). Für mich war das ganz wichtig, daß ich nicht warte, bis die Krankheit ausbricht, sondern daß ich etwas tue.

M: Insgesamt ist kein Klima da, mit HIV und Aids umzugehen. Die Gesellschaft hat immer noch ein Bild, das ganz stark durch Abgrenzung und Ängste gekennzeichnet ist. Deshalb ist auch Anonymität immer noch so wichtig. Wir sind hier ja nicht in Kalifornien, wo es z.B. auch einen Kündigungsschutz bei Aids gibt.

Was weiß man an Deinem Arbeitsbereich?

M.: Ich habe es wenigen Leuten mitgeteilt, zu denen ich engeren persönlichen Kontakt habe. Aber die große Mehrheit weiß das nicht. Ich befürchte Reaktionen, die auf mich zurückfallen können: Es geht im ganzen Krankenhaus rum, es geht an die Vorstandsetagen.

Du hast Angst, nicht weil Du schwul bist, sondern weil Du infiziert bist?

M.: Nein, schwul ist nicht das Problem. Ein schwules coming out habe ich lange gehabt. Ich habe Angst, auf der Leistungsebene ausgegrenzt zu werden.

H.: In der schwulen Szene hat sich schon einiges entkrampft, durch aufklärerische Arbeit aber auch dadurch, daß die Positiven inzwischen überall sind und jeder auch jemanden kennt. Aber bei der An

knüpfung von Sexualität, da gibt es noch sehr viel Vorbehalte. Ich persönlich bin da offen. Wenn es zu intensiveren sexuellen Kontakten kommt, dann brennt es mir schon auf der Seele, mich mitzuteilen und dem andern auch klar zu machen, worauf er sich einläßt. Und meine drei Beziehungspartner in diesen Jahren haben da auch einen sehr solidarischen Beitrag geleistet.

H.: Ich habe einmal eine schlechte Erfahrung gemacht, wo mir jemand von der Bettkante gesprungen ist, als ich gesagt habe, daß ich „positiv“ bin. Ich sage das meinen Partnern nicht mehr. Ich mache safer sex. Ich weiß von anderen „Positiven“, auf die mit Fingern gezeigt worden ist oder die mit jemanden zusammenstanden und zwischendurch zur Toilette gegangen sind, und dann ist da jemand hingegangen und hat gesagt: Da mußt Du vorsichtig sein: der hat Aids.

M.: Man macht ganz viel in puncto Aids alleine ab, vielleicht ist das auch eine spezifisch bremische Situation. Bremen ist ja kein schwules Zentrum, nicht so eine Stadt wie Berlin oder Köln, wo viel mehr positiv Erkrankte sind. Und da ist es auch viel eher so, daß ein Positiver oder ein Aids -Kranker in die Szene geht und sich auch zeigt. Aber hier kennt ja jeder jeden, das hat schon was sehr Kleinstädtisches.

Int: Uta Stolle