Vorlauf: Grenzenloses Europa

■ Grenzen: Das ganze vertraute Fremde - Yoash Tatari an der bayrisch-österreichischen Grenze

(Grenzen: Das ganze vertraute Fremde - Yoash Tatari an der bayrisch-österreichischen Grenze, West 3, 20.15 Uhr) Viele Wege führen von hüben und nach drüben. Mal ist es der Trampelpfad längs eines kleinen Baches - des nachts Schauplatz heimlicher Übergänge. Mal ist es nur eine bewachsene Traktorspur mit einem Schlagbaum, den der Bauer nach jeder Fuhre mit einem Vorhängeschloß verriegeln muß. Mal ist es eine Schranke, die nur dann zum Grenzposten mit Paßkontrolle wird, wenn die Zöllner Dienst haben. Und es ist der reguläre Grenzübergang mit der Abfertigungshalle, mit den Boxen der Drogenhunde, mit den Abschiebezellen für die heimlich Eingereisten. Die Grenze ist grün, aber offen ist sie nicht, jedenfalls nicht für jederman.

Yoash Tatari hat sich eine Grenze ausgesucht, die beim ersten Hinsehen wenig Aufsehen erregt. Die deutsch -österreichische Grenze bei Bad Reichenhall: der Staustreß -Auslöser während der Reisewelle, die „Balkanroute“ zum Teutonengrill, die Schneise für „Jugo-Busse“, in denen jugoslawische Gastarbeiter für ein Wochenende gen Heimat schaukeln. Was soll hier schon passieren außer ein paar müde winkenden Zöllnern und einigen laschen Routine-Kontrollen, denkt man unwillkürlich, wenn die Kamera von der Trasse der mehrspurigen Zufahrt auf die herrliche Bergkulisse schwenkt. Wie immer aber trügt das Idyll. Indem Yoash Tatari den Begriff wörtlich, aber nicht zu wörtlich nimmt, verschont er uns vor gängigen Reportagesequenzen vom Schichtdienst am Schlagbaum und zeigt statt dessen die doppelte Moral eines grenzenlosen Europas.

Erwünscht ist, was ins Weltbild paßt, und dessen Grenzen werden am Stammtisch gesteckt. Wirtschaftsflüchtlinge allesamt, diese Türken und die „sogenannten Asylanten“: „Alles, was in Europa und in der Dritten Welt so vorkommt“, scheitert an der grünen Grenze spätestens vor der grünen Uniform der Zöllner. Wer nicht hören will, hört schnell einen Schuß. Noch ist es ein Warnschuß, den die Grenzstreife abfeuert, weil „ein Türke 'Halt, Zoll‘ ja nicht versteht.“ Die verständliche Sprache der Waffe, sie hat schon einmal den kleinen Grenzverkehr geregelt. Damals gaben sich die Nazi-Gendarmen nicht mit Warnschüssen auf flüchtende Juden zufrieden.

Der englische Zöllner ist korrekt, der französische Zöllner ist manchmal galant, oft arrogant, der deutsche Zöllner ist preußisch und fast immer reaktionär. Yoash Tatari begnügt sich mit Skizzen, die - nur sparsam kommentiert - die Immobilität im Denken und Handeln der Zöllner und Grenzbewohner zeigen. Zum Schluß wird es dann fast heiter. Auch in Österreich gibt es ein Ausländerproblem. Die Überfremdung durch Zugereiste hat derart zugenommen, daß Grundstücke und Häuser nicht mehr an Fremde verkauft werden dürfen. Die Unerwünschten sind Deutsche aus dem Norden, die ein Wochenendhäuschen in den Alpen suchen. Jetzt sind sie ausgegrenzt, diese Ausländer.

Christof Boy