Kopftuch-betr.: "Streit um ein Stückchen Stoff", taz vom 21.11.89

betr.: „Streit um ein Stückchen Stoff“, taz vom 21.11.89

Im Gegensatz zum Eindruck, der bei der Lektüre des Artikels entsteht, hat die französische Schulverwaltung im Kopftuchstreit sehr zurückhaltend reagiert. Nachdem ein erster Kompromiß - die Schülerinnen sollten während der Pausen das Kopftuch tragen dürfen und es nur während des Unterrichts ablegen - gescheitert war, wurde den Mädchen erlaubt, in der Schulbibliothek pädagogisch betreut und mit Kopftuch zu lernen. Hätte sich die örtliche Schulverwaltung strikt an den Buchstaben des Gesetzes gehalten, wären die Eltern mit einer Reihe von Sanktionen bedroht worden, die vom Entzug des Kindergeldes über die Streichung anderer Sozialleistungen bis hin zu Geld- und Gefängnisstrafen reichen.

Von 1964 bis 1969 besuchte ich in Nanterre die Grundschule Frankreichs mit dem wohl höchsten Ausländeranteil in Rufweite eines Slums dessen Verhältnisse der Dritten Welt würdig waren. Damals und während meiner Zeit am Gymnasium und auch später als Grundschullehrerin im selben Ort gab es kein einziges Mädchen islamischer Herkunft, das ein Kopftuch getragen hätte. Der Artikel von Irma Dohn unterschlägt diesen historischen Aspekt und unterstellt damit den Frauen eine fast naturgegebene Sehnsucht nach dem Schleier.

Der „fremde, fordernde, männliche Blick“ wird erst seit Erstarken des islamischen Fundamentalismus so empfunden. Das erste Mädchen mit Kopftuch traf ich 1982 auf der Straße. Sie war meine damalige Schülerin, die früher nie das Kopftuch getragen hatte. Jetzt würde Gott sie strafen, wenn sie es ablegte.

Als französische Lehrerin verwahre ich mich gegen den Vorwurf des „diskreten Rassismus a la Finkielkraut“, wenn ich es meinen Schülerinnen ermögliche, zum Beispiel am Sport - und Schwimmunterricht teilzunehmen. Wie man sich vorstellen kann, ist das Kopftuch dabei ziemlich hinderlich. Ich verteidige keine abstrakten, in langen Artikeln konstruierten Prinzipien, sondern die Möglichkeit meiner Schülerinnen, kontinuierlich am Unterricht teilzunehmen, normale Mitglieder der Klassengemeinschaft zu sein und eine umfassende Ausbildung zu erhalten.

Daß die arabischen Schülerinen dadurch in islamische Schulen gedrängt würden ist falsch, weil unmöglich: Es gibt keine islamischen Privatschulen, die vom französischen Gesetz anerkannt werden. Wollten Eltern ihre Kinder ausschließlich in die berüchtigten Koranschulen schicken, würden sie sich den erwähnten Sanktionen aussetzen.

Veronique Lhommeau, Berlin 51