BRDDR: ja oder nein?-betr.: "Wiedervereinigung", Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 23.11.89

Betr.: „Wiedervereinigung“, Kommentar von Klaus Hartung, taz vom 23.11.89

(...) Zweistaatlichkeit bei offenen Grenzen führt zu einem Ausbluten der DDR und zu einer Stärkung der faschistischen Strömungen in der BRD. Wir dürfen das Wohlstandsbegehren der „gewöhnlichen“ Menschen nicht unterschätzen: Die Massenabwanderung wird zerstörerische Ausmaße annehmen, und zwar sowohl in der DDR, wo die für den Umbau der „potemkinschen Ökonomie“ (Elmar Altvater) benötigten Fachkräfte fehlen, als auch hier, wo sie „Einheimischen“ die Arbeit „wegnehmen“ oder als SozialhilfempfängerInnen „durchgefüttert“ werden müssen, weil sie „wegen der vielen Ausländer“ keine Arbeit finden... Und auch keine Wohnung: „Türken raus“ als ökologische Alternative zur Verschandelung unserer Städte durch Billigbauten?

Mein nichtdeutscher Mann, der den „Wunsch der Deutschen nach Wiedervereinigung für völlig natürlich“ hält und schon am 9.November vorausgesagt hat, daß die Ostdeutschen bei freier Wahl mit überwältigender Mehrheit für „Wiedervereinigung“ stimmen werden, scheint recht zu behalten. Laut taz waren es bei der letzten Umfrage bereits 61 Prozent.

Deswegen dürfen wir Grünen uns nicht länger mit der Frage, ob die Wiedervereinigung wünschenswert ist, blockieren. Wir müssen vielmehr eilig Konzepte entwickeln für eine Neuvereinigung, die a) so gestaltet ist, daß Deutschland keine militärische Bedrohung für die Nachbarn werden kann (also kein neutralistischer Sonderweg), und b) zu einem Motor wird für die - Abrüstung ermöglichende gesamteuropäische Einigung.

Elisabeth Dessai, Moers

(...) Uns, der demokratischen Linken, böte sich die einmalige historische Chance, endlich in einem von unten geeinigten Deutschland dem Frieden dauerhaft zu nutzen. Wir hätten allerdings von Neuvereinigung zu reden; es wird und soll nicht wie früher werden. Der von oben gepropfte Bismarckstaat mit seinen wahnsinnigen Folgen kann doch nicht ernsthaft und immer der Grund sein, sich des Themas zu enthalten oder gar gegen eine neue deutsche Einheit zu sein. Hartung und andere befinden sich zumindest mit einem Bein in dem Boot, welches unter Kohl und Co.s Steuerung dahindümpelt - der will die Einheit nämlich dann nicht, wenn dieses Deutschland neutral und entmilitarisiert wäre.

Wir haben, außer wir träumten, keinen Anlaß zu hoffen, daß ein neues Sozialismusexperiment unter den gegenwärtigen Umständen auch nach einer längeren Phase der Suche in der DDR fruchtet. Und die Menschen, um die und mit denen es ja letztlich gehen muß, haben es ja auch satt. Und so werden sie in einer kapitalistischen gesamtdeutschen Lösung ihr Heil suchen. Dem hätten wir die Forderung nach Neutralität und Demilitarisierung entgegenzusetzen. So und mit der Forderung, Ausländer raus - wenn sie Uniform anhaben - wäre ein Weg und rund um Deutschland herum Klarheit geschaffen und neonazistischen Tendenzen reichlich Wind aus den Segeln genommen.

Beide Staaten werden wieder zusammenwachsen, auch wenn einige, die es gut meinen, verbissen daneben stehen und sich eigentlich jeder politischen Handlungsmöglichkeit berauben. Nationale Identität ist so notwendig wie die eigene Wohnung und die sollte im vielzitierten Haus Europa bezogen werden ohne Untermieter. Wenn sich allerdings an ihrer Statt Chauvinismus und Rassenwahn breitmachen, haben wir die Krankheit, dieses Gift läßt sich nicht mit spezifisch deutschem Masochismus entsorgen. Die eine Neurose ist Bedingung der anderen - aber Normalität ist das nicht.

Udo Langen, Berlin

Klaus Hartung scheint sich nicht vorstellen zu können, daß es Linke - hüben wie drüben - gibt, für die das Thema „Deutsche Einheit“ nicht tabu ist, für die eine „Aufhebung“ von BRD und DDR zugleich Chance und Notwendigkeit ist. (...)

Wenn die taz auf einmal einer bröckelnden DDR-Staatsmacht nachtrauert, indem sie so tut, als wäre die sanfte Revolution eine Demonstration für eben diesen Staat, wird mir leicht übel. Gerade die DDR-Avantgarde hat den SED -Staat satt und will raus aus diesem geschlossenen, ausgetrockneten Versuchskreislauf. Die Frage der nationalen Identität stellt sich zunächst im soziologischen Rahmen: Mir scheint, daß Leute wie Klaus Hartung (und andere JournalistInnen) weniger reif sind für die deutsche Einheit als die meisten DDR-BewohnerInnen: Im Gegensatz zu diesen müßte er runter von seinem 1.Klasse-Status. Daß die Leute „von drüben“ gerne auf Paß und Währung 2.Klasse verzichten, kann nur der erschreckend finden, der seine Schäfchen im Trockenen hat. Somit klingt es ausgesprochen etabliert, wenn man die DDRlerInnen dazu ermuntert, doch endlich „stolz auf ihre Identität“ zu sein; ihr Staat sei schließlich die gerechte Folge des verlorenen Krieges. Wer bestraft da wen für was?

Mehr Einfühlungsvermögen und weniger festgefahrene Standpunkte sollten der taz helfen, sich auf die neuen Situationen einzustellen. Im Kampf mit der Rechten, der man getrost den blöden Begriff „Wiedervereinigung“ überlassen könnte, sollte man zusammen mit den sanften RevolutionärInnen aus Ost-Berlin, Leipzig und anderswo ein Gegenbild vom „einigen Deutschland“ entwerfen. Gegen den Alptraum eines „Vierten Reiches“ sollte man andere, dezentrale Visionen stellen: Die taz könnte sich zum Forum derjenigen machen, die sich ein freies Land mit unterschiedlichen Deutschen wünschen, ohne Kohl und Krenz, mit starken Gewerkschaften, mit einer internationalen Umwelt - und Friedensbewegung, ohne Rassen- und Ausländerhaß und diesbezüglich endlich mit einer deutlichen Aufarbeitung der Vergangenheit!

Achim Schüßler, Darmstadt

Ich guck mir gerade die Mauer von der anderen Seite an, das erste Mal. Die sieht von hier - zugegeben - etwas bunter aus, wie alles im Westen. Es wird in ihrem Umkreis aber ein bißchen viel von Wiedervereinigung geredet. Ich persönlich möchte nicht gern wiedervereinigt werden (wieder geht sowieso nicht, weil ich erst nach dem Mauerbau geboren bin), und begründen möchte ich das mit dem Beispiel, das Momper am Breitscheidplatz brachte: Wenn der Bräutigam (BRD) will und die Braut (DDR) will nicht, wird das nichts. Werden kann ja schon was, bloß was?

Möglichkeit 1, die sogenannte „Niedervereinigung“ oder, um im Beispiel zu bleiben, schlichtweg Vergewaltigung: Er nötigt ihr seinen Willen auf und kann sich dabei darauf berufen, daß sie ihn ja sozusagen (durch gewisse Signale) dazu provoziert hat. Sie fühlt sich nur umgelegt und nischt weiter.

Variante 2 (ist im Westen allerdings verbreiteter), Prostitution: Er hat's Geld, und sie legt sich hin. Mit Wollen hat das nichts zu tun, es geht um die bloße Existenz. Ein bißchen abgewandelte Variante ist die mit dem Brautpreis. Da geht's nicht nur ums Hinlegen, sondern auch noch um die Arbeitskraft.

Variante 3 ist die eigentlich tragische: Unsere Dame ist von ihren puritanischen Vätern 30 Jahre am Ausgang und damit am Kontakt mit der anderen Seite gehindert worden, unterdessen eine alte Jungfer geworden und schmeißt sich nun bei der ersten Gelegenheit hin, weil irgendwann muß es ja sein. Wie ihr das bekommen wird?

Die Varianten von „Partnerschaft“ behagen mir alle nicht, und als betroffenes Körperteil hätte ich die folgende Idee: Die Dame bringt sich erst mal in Ordnung und da geht's nicht nur (aber auch) um die äußere Ansehnlichkeit, sondern zunächst um das innere Befinden, und wenn sie da ein bißchen weiter ist, hat sie vielleicht eher die Wahl, worauf sie sich mit wem einläßt. Und worauf nicht.

Wünschen würde ich mir, daß Ihr Euch in Eurer Zeitung für so eine Art Partnerschaft einsetzt (von Euch würde ich es nach dem kurzen Rundblick am ehesten erwarten) und dem machomäßigen Rumgegröhle und auch der jungfernhaften Hysterie ein bißchen entgegentretet.

Beate Mitzscherlich, Leipzig/DDR