: Juden im spanischen Bürgerkrieg
■ Keine Insider-Lektüre auch über den spanischen Bürgerkrieg / Auf die Heldenperspektive wird verzichtet Ein spätes Denkmal für die jüdischen Antifaschisten
Es gibt einen jiddischen Witz: Während eines Pogroms versammeln sich die übriggebliebenen Juden zweier benachbarter Gemeinden in der Synagoge. Sie beraten, was gegen den übermächtigen gemeinsamen Feind zu tun sei. „Was habt ihr bis jetzt gemacht?“ fragt der Rabbi der einen Gemeinde. Der Rabbi der anderen Gemeinde erklärt: „Wir haben fünfzig Psalmen pro Tag gebetet.“ „Und? Hat Gott euch geholfen?“ „Nein“, gibt der andere Rabbi zu. „Dann müssen wir jetzt zu schärferen Maßnahmen greifen. Auch wenn es unserer friedlichen Natur widerspricht: Ab sofort werden täglich hundert Psalmen rezitiert!“
Es gab
jüdischen Widerstand
Beschreibt dieser traurige Witz die Haltung der europäischen Judenheit gegenüber der faschistischen Bedrohung? Angeblich ließen die Juden sich ja wie Lämmer und ohne Gegenwehr zur Schlachtbank führen. Arno Lustigers Buch Shalom Libertad zeigt freilich, daß dies Klischee den Fakten nicht entspricht. Doch: Es gab einen jüdischen Widerstand gegen den Faschismus, schon vor dem verzweifelten Aufstand des Warschauer Ghettos. Juden gehören zu den ersten Freiwilligen, die nach Spanien kamen, um die Republik gegen Franco zu verteidigen. Und sie stellten dort einen überproportional hohen Anteil in den Internationalen Brigaden: So waren dreißig Prozent der Amerikaner, die in der Lincoln-Brigade kämpften, jüdischer Herkunft. In der Geschichtsschreibung wurde derlei bisher entweder verschwiegen, oder es wurde unter den Teppich der Fußnoten gekehrt.
„Jüdische Nationalität“
Freilich erhebt sich die Frage, ob die jüdischen Antifaschisten als Juden nach Spanien kamen. Betrachteten sie sich nicht vielmehr als Internationalisten, das heißt als Widerstandskämpfer schlechthin? Was war das spezifisch Jüdische an ihnen? Hinzu kommt: Niemand (außer den Antisemiten) weiß wirklich, wer ein Jude ist. Ist das Judentum eine ethnische und nationale - oder doch nur eine religiöse Kategorie? Arno Lustiger antwortet einem Freund auf derartige Bedenklichkeiten: „Gewiß hatten die Juden dort nichts mit der Religion im Sinn, aber die meisten von ihnen waren jüdischer Nationalität, auch wenn sie polnische, sowjetische, ungarische, rumänische oder tschechoslowakische Staatsbürger waren. Ihre Rechte als nationale Minderheiten waren durch internationale Abkommen und Verpflichtungen geschützt. Auch in der Sowjetunion gehört die jüdische Nationalität zu den vielen anderen, welche im Personalausweis vermerkt wird - 'jewrei‘. Nur in einigen westlichen Ländern betrachteten sich die Juden als Staatsbürger und sonst nichts, was sich hier und dort später als Illusion erweisen sollte.
Für die Notwendigkeit, den jüdischen Anteil festzuhalten und zu beschreiben, habe ich den bestmöglichen Befürworter, Generalkommissar Luigi Longo-Gallo, welcher... eben dies fordert. Er schreibt u.a. “... creo que se sentian ya un poco como el vengador de todas las calumnias contra su hermanos de raza“, also, jüdische Spanienkämpfer als Rächer für alle Verleumdungen gegen ihre Volksbürder.
Warum soll das, was in Madrid 1937 richtig war, heute nicht mehr gelten? Ich kann Ihnen ein halbes Dutzend von faschistischen Publikationen zeigen, die die Rolle der Juden im spanischen Bürgerkrieg für ihre Propaganda nutzen. Sollte man gerade ihnen das letzte Wort zu diesem Thema überlassen?
Worum es mir geht, kann ich mit drei Worten definieren: 'Dem Vergessen entreißen‘.“ (Lustiger, pp. 65 ff.)
Als wäre es ein Krimi
Shalom Libertad ist gewiß keine dröge Lektüre. Statt dem Götzen des Wissenschaftlichkeitsstils zu huldigen, hat Arno Lustiger es vorgezogen, verständlich zu schreiben. Im Mittelpunkt seines Buches stehen die Biographien der einzelnen jüdischen Kämpfer: Sofern sie noch am Leben sind, läßt Lustiger sie ausführlich selbst zu Wort kommen. Er liefert so das Kaleidoskop der grau-bunten Menschenschicksale als Rohstoff für politische Abenteuerromane, die vermutlich niemand je schreiben wird. Teile von Lustigers Buch habe ich gleichsam mit angehaltenem Atem gelesen, als wäre es ein Krimi. Manchmal ist die Lektüre herzzerreißend. Und manche Passagen sind furchtbar komisch, etwa wenn Peter Frye, ein jüdischer Schauspieler aus Kanada, berichtet: „Die Bedingungen waren unglaublich schlecht. Alle Uniformen, die man uns gab, rissen für gewöhnlich in der Mitte. Du ziehst dir eine Hose an, du knöpfst sie zu, die Naht gibt hinten nach, und du stehst mit nacktem Arsch da. Wir nannten uns 'The Balls-Ass Brigade‘ (die Eier- und Arsch-Brigade).“ (Lustiger, p.162) Auf die abgehobene Heldenperspektive wurde in Shalom Libertad verzichtet. Auch der gerechte, der Verteidigungskrieg gegen den Faschismus war schmutzig: Peter Frye sagt es in seiner drastischen Sprache so:
„Der Krieg ist ein großes Scheißhaus, und die Offiziere haben die Herrschaft über das Scheißhaus. Sie betreiben das Scheißhaus. Sie verherrlichen das 'Erlebnis‘ des Krieges, den großen Helden, die großen militärischen Strategen. Aber der Krieg geht weiter und scheißt auf jeden, alles und jeder ist mit Kot bedeckt. Das bedeutet Krieg. Jeder Wert, absolut jeder Wert ist besudelt.“ (Lustiger, p.164)
Neben Kurzbiographien und Interviews stehen bei Lustiger panoramische Darstellungen, Analysen des geschichtlichen großen Ganzen. Shalom Libertad ist somit keine Insider -Lektüre. Auch wer bisher wenig oder nichts über den spanischen Bürgerkrieg wußte, kommt auf seine Kosten.
Stalinistischer Terror
gegen Antifaschisten
In seinem Kampf gegen den Faschismus wurde Spanien von den westlichen Demokratien im Stich gelassen. Zum wichtigsten Verbündeten der Republik wurde so die Sowjetunion. Freilich exportierte die Sowjetunion nicht nur Waffen nach Spanien, sondern zugleich auch ihre Krankheit: das Gulag-System. Der stalinistische Terror gegen Andersdenkende wird in Shalom Libertad keineswegs ausgeblendet. Zumal die jüdischen Spanienkämpfer von diesem Terror mitbetroffen waren: als Opfer und freilich auch - Juden sind nicht die besseren Menschen - als Täter.
Meistens gehörten die Juden allerdings zu den Opfern des Stalinismus. Auch nach dem zweiten Weltkrieg, in den Schauprozessen der fünfziger Jahre, waren gerade die jüdischen Spanienkämpfer für den Tod durch den Strang gleichsam prädestiniert. Einer derjenigen, die damals der Hinrichtung knapp entgingen, war der jüdisch-tschechische Arzt Dr.Frantisek Kriegel: „Die familiäre und politische Herkunft Kriegels und seine Erlebnisse im Krieg waren Grund genug, Kriegel wie viele Kameraden aus Spanien unablässig zu verhören. Was die Schergen der Partei besonders mißtrauisch machte, waren seine internationalen Bekanntschaften und die Sprachkenntnisse. Er konnte fließend polnisch, tschechisch, jiddisch, englisch, französisch, russisch, spanisch und chinesisch sprechen.“ (Lustiger, p.295)
In den Jahren 1957/58 wurde Frantisek Kriegel rehabilitiert. Allerdings vermochte auch dies nicht, ihn zur stalinistischen Raison zu bringen: Zehn Jahre später gehörte Kriegel zu den führenden Protagonisten des Prager Frühlings. Er wurde dafür von dem sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin antisemitisch als „kleiner galizischer Jude“ beschimpft.
Beerdigung des Antifaschisten verboten
Selbst nach seinem Tod verziehen die herrschenden Stalinisten Kriegel nicht, daß er wirklich ein Antifaschist gewesen war: „Bei der Beerdigung Kriegels gab es etwas ganz Neues in der Geschichte Europas: Die Beerdigung Dr.Frantisek Kriegels, des Trägers höchster Staatsämter und Auszeichnungen, der zehn Jahre lang gegen den Faschismus überall gekämpft hatte, wurde verboten. Sein Körper wurde an unbekanntem Ort zu unbekannter Zeit verbrannt.“ (Lustiger, p.297)
Arno Lustiger hat Frantisek Kriegel und seinen jüdischen Kameraden ein Denkmal gesetzt, das hoffentlich dauern wird. Shalom Libertad zeigt: Wir haben nicht nur die besseren Lieder, Gedichte und Witze, sondern auch die bessere Geschichtsschreibung. Die Faschisten hatten freilich die besseren Waffen.
Postscriptum: Vor einem Jahr hätte ich skeptisch gesagt: Es kann noch lange dauern, bis Arno Lustigers Buch auch in der DDR gedruckt wird. Aber inzwischen ist die deutsche Geschichte ja mächtig in Bewegung geraten. Vielleicht wird Shalom Libertad bald auch in Buchhandlungen in Ost -Berlin, Leipzig und Dresden erhältlich sein. Der schöne Titel jedenfalls würde gut in die derzeitige politische Landschaft der DDR passen.
Hannes Stein
Arno Lustiger: Shalom Libertad! Juden im spanischen Bürgerkrieg. Frankfurt a.M. 1989 (Athenäum), 64,- DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen