„Eine autofreie City wird es nicht geben“

■ taz-Gespräch mit dem Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff / Seit Ende Mai hat der neue rot-grüne Magistrat Gelegenheit, der Bankenmetropole seinen Stempel aufzudrücken / Hauff will zwar wirtschaftliche Dynamik, doch „nicht so, daß sie die Menschen bedroht“

taz: Als Walter Wallmann 1987 hessischer Ministerpräsident wurde, hat er gesagt, eine gute Regierung zeichne sich dadurch aus, daß sie nicht auffällt. Ist das auch Ihr Grundsatzprogramm?

Hauff: Nein! (Lacht). Aber es ist wichtig, daß kein unnützes und unproduktives Gekreische an die Öffentlichkeit dringt. Eine Regierung muß dadurch auffallen, daß sie handelt, daß sie Entscheidungen trifft, daß sie dialogbereit ist. Und das haben wir in Frankfurt geschafft.

Dennoch hat sich seit dem Regierungswechsel im März nichts verändert.

Das sehe ich anders: Auf meinem Schreibtisch liegen Stapel von Protestbriefen gegen die von uns gewollte Bekämpfung der Zweckentfremdung von Wohnraum. Wir machen ernst damit, aber wir machen daraus kein großes Trara. Wir haben in der Verkehrspolitik mit dem Umweltticket eine Tarifreform eingeleitet.

Viele FrankfurterInnen haben SPD oder Grüne gewählt, weil diese Parteien im Wahlkampf von der verkehrsberuhigten, autofreien Innenstadt gesprochen haben...

Dann haben diese Leute falsch gewählt. Eine autofreie Innenstadt wird es nicht geben. In den Koalitionsverhandlungen war das in der Tat ein strittiger Punkt. Wir sprechen heute von der „urbanen Innenstadt“. Und es ist ein ziemliches Mißverständnis zu glauben, daß dafür innerhalb von vier Monaten ein Konzept aus dem Boden gestampft werden könnte. Wir arbeiten an diesem Konzept, und wenn es vorliegt, werden wir damit in die öffentliche Diskussion eintreten.

Es gibt also einen Dissens zwischen SPD und Grünen bei der Verkehrsberuhigung. Die Grünen wollen nach wie vor eine umfassende Stillegung des Innenstadtverkehrs erreichen.

Diesen Dissens sehe ich nicht. Die Verkehrsberuhigung in den Wohnvierteln und die flächendeckende Einführung von Tempo 30 ist eine Sache. Letztendlich müssen da die Ortsbeiräte eintscheiden. Das hat aber überhaupt nichts damit zu tun, was in der Innenstadt passiert. Da wollen wir Verkehrsraum zurückgewinnen, um öffentliche Erlebnisräume schaffen zu können. Wir werden Fahrspuren wegnehmen und den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen. Wir werden keine Hochhäuser mehr mit Tiefgaragen genehmigen - wir werden aber nichts unternehmen, ohne zuvor über diese Konzepte mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert zu haben. Und das wird bald geschehen. Ich mache keine Politik nach dem Motto: Sachverstand trübt nur die Urteilskraft.

Ihre WählerInnen warten aber händeringend auf Zeichen für die angekündigte „andere Politik“. Finden Sie nicht, daß Sie deren Geduld arg strapazieren?

Deswegen haben wir jetzt das Umweltticket eingeführt. Deswegen haben wir den Bebauungsplan City-West geändert. Da laufen die Grundstücksbesitzer - auch die IG-Metall - jetzt Sturm, weil die Grundstückspreise in den Keller fallen.

Umweltticket ist doch Pflicht für einen rot-grünen Magistrat. Wo bleibt die Kür?

Wollen wir so weiterdiskutieren? Alles, was wir gemacht haben, ist totale Selbstverständlichkeit, und alles, was wir noch nicht getan haben, ist totales Versagen?

Schauen wir uns doch einmal den vielzitierten Grüngürtel um Frankfurt an. Das erste, was konkret bekannt wurde, war, daß die Stadt plane, in diesem - noch gedachten - Grüngürtel ein Baugebiet für Einfamilienhäuser auszuweisen. Das hat für böses Blut gesorgt, nicht nur bei den Grünen.

Der Grüngürtel ist in Planung. Das wird noch ein bis zwei Jahre dauern. Wir verdoppeln mit diesem Haushalt die Mittel für den Wohnungsbau. Wir werden in den nächsten vier Jahren über eine Milliarde Mark dafür ausgeben. So etwas gab es noch nie.

Wo sollen die Wohnungen denn gebaut werden? Und welche Art von Wohnungen wollen Sie bauen? Einfamilienhäuser?

Wir haben das Landwirtschaftsgelände, wir haben den Schlachthof. Da werden Wohnungen gebaut. Wir verhandeln in Nied. Wir werden allerdings verhindern, daß dort Kästen in die Welt gesetzt werden, die das ganze Stadtbild verschandeln. Das ist im Augenblick ein Machtspiel zwischen bestimmten Investoren und der Stadt. Und da werde ich mich nicht erpressen lassen. Und da finde ich es nicht angemessen, wenn bestimmte Kreise nur über Hochhäuser in der Mainzer Landstraße diskutieren. Wir haben uns gegen den Kahlschlag des Bahnhofsviertels und gegen die Errichtung eines Monopolpuffs in der Breiten Gasse ausgesprochen, denn das hätte die gesamte Stadt verändert.

Was wird denn nun aus dem „Campanile“, dem höchsten Wolkenkratzer Europas, der im Frankfurter Gallusviertel entstehen soll?

Beim „Campanile“ hatte wir unterschiedliche Ausgangssituationen. Die Grünen waren dagegen und die Sozialdemokraten dafür. Heute gibt es eine ganz klare Linie: Sollte sich herausstellen, daß dort bei der Planung und der Genehmigung nicht nach Recht und Gesetz verfahren wurde, wird es kein neues Bauwerk geben. Anfang Dezember wird das Gutachten zu diesen Fragen vorliegen.

Daß heißt doch: Wenn sich die Investoren an Recht und Gesetz gehalten haben, kommen Regreßforderungen auf die Stadt zu, und die geht dann in die Knie...

Wir warten jetzt erst einmal das Gutachten ab. Wenn das vorliegt, dürfen Sie mich noch einmal fragen.

Ihr Planungsdezernent Wentz hatte nach der verlorenen Hessenwahl ein Papier für die SPD erstellt, in dem er - grob vereinfacht - der SPD das Eindringen in die neuen Mittelschichten empfiehlt, damit die Partei wieder mehrheitsfähig wird. Hat der Oberbürgermeister Hauff in der Finanzmetropole Frankfurt den Parteiauftrag, die SPD für diese partizipierenden Mittelschichten interessanter zu machen?

Ich habe zunächst einmal einen Auftrag von den Wählerinnen und Wählern dieser Stadt, die den Wechsel wollten. Was wir hier machen, ist keine Modell- oder Strategieentwicklung für irgend etwas anderes. Wir beschreiten den Frankfurter Weg, der sich aus der Kommunalpolitik heraus legitimieren muß. Dazu gehört allerdings auch die Kompetenzerarbeitung für die Wirtschaftsentwicklung der Stadt. Und das ist das eigentlich Spannende an diesem rot-grünen Projekt.

Die CDU hat eine Politik gemacht, die eindeutig unter der Überschrift stand, daß die wirtschaftliche Entwicklung Vorrang vor allem anderen haben müsse. Bei denen war die Erhöhung der Gewerbesteuer der Maßstab der Kommunalpolitik. Wir machen jetzt aber nicht den Fehler, daß wir uns über die bloße Negation dieser Position definieren. Wir wollen beide Positionen zueinander bringen. Wir wollen die wirtschaftliche Dynamik dieser Stadt weiter voranbringen, aber nicht so, daß sie die Menschen bedroht. Wir wollen in der Wohnungsbaupolitik, in der Grünpolitik, in der Sozialpolitik eine neue Linie entwickeln, bei der die Menschen erkennen, daß das für die Stadt wichtig und richtig ist. Wir wollen wieder ein Gleichgewicht herstellen. Wir sagen nicht Nein zum Bürohochhausbau, aber wir kritisieren eine CDU-Politik, bei der nur noch Büroraum geschaffen wurde.

In Sachen Wirtschaftspolitik trauen die BürgerInnen offenbar CDU und FDP noch immer mehr zu. Lastet auf ihren Schultern als Oberbürgermeister der Finanzmetropole Frankfurt nicht ein ungeheuerer Erwartungsdruck? Müssen Sie nicht beweisen, daß auch ein SPD-Regierender mit den Banken, mit der Industrie- und Handelskammer und mit den Konzernbossen klarkommt?

Also Druck von der Partei gibt es keinen. Erwartungen gibt es schon. Unser Maßstab lautet einzig und allein: Was ist gut für die Menschen in der Stadt. Und ich bin ja in die Politik gegangen, weil ich das auch spannend finde. Sonst würde ich anderswo Geld verdienen.

Verdienen Sie als Oberbürgermeister zu wenig?

Also, ich hätte keine Probleme, in der Wirtschaft ein Vielfaches meines Gehaltes zu verdienen - mit freiem Wochenende. Ich habe mich für die Politik entschieden. Und da habe ich - jenseits von dem konkreten, rot-grünen Projekt in Frankfurt - noch ein Ziel: die Stabilisierung von Demokratie. Wir beobachten ja zur Zeit einen unglaublichen Autoritätsverfall von Politik. Dem will ich die Erneuerung der politischen Kultur entgegensetzen. Wir müssen Alternativen zu der Sprechblasenpolitik entwickeln, die derzeit aus Bonn kommt.

Gibt es im Zuge dieser „Erneuerung der politischen Kultur“ eine Art Arbeitsteilung? Zum Beispiel die: Die Sozialdemokraten sorgen dafür, daß es weiter klappt bei den Banken, den Konzernen, beim mittelständischen Gewerbe und bei den Dienstleistungsbetrieben? Und die Grünen sind die ökologisch bewußten Sozialarbeiter, die sich um die Modernisierungsverlierer kümmen und dafür sorgen, daß Frankfurt ein bißchen grüner wird und das soziale Netz nicht reißt?

Bei uns gab es nach der Dezernatsaufteilung eine ganz andere Auseinandersetzung. Viele Sozialdemokraten haben gesagt, daß alle spannenden Ressorts, alles, was mit Erneuerung zu tun hat, wie Umwelt, Energie, Frauen, Schule, Multikultur, bei den Grünen angesiedelt worden sei. Ich halte mich an das, was die Grünen mir vor den Koalitionsverhandlungen - aus den Erfahrungen in Wiesbaden heraus - gesagt haben: „Wir wollen ein Erfolgsbündnis, kein Konfliktbündnis.“ Wenn wir den Erfolg wollen, dann muß allen klar sein, daß wir diesen Erfolg nur miteinander erreichen werden.

Werden Sie weiter auf „Küchenkabinettsrunden“ bestehen, obgleich bei den Grünen Unmut über diese Dezernentengespräche außerhalb der Koalitionsrunden herrscht?

Was bitte ist ein Küchenkabinett? Doch im Klartext: Ich werde mich auch weiterhin mit Menschen treffen, mit denen ich mich treffen will, ohne daß ich dazu vorher irgendeine Erlaubnis einhole.

Die Koalition scheint auf höchster Ebene zu funktionieren. Die exakt gleiche Antwort gab uns Multikulturdezernent Cohn -Bendit. Ohnehin haben Sie bislang in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltend agiert und Dinge auch treiben lassen. Da wurde monatelang um die Folgen der Bundesgartenschau diskutiert, ohne daß der Oberbürgermeister eingriff. Haut Volker Hauff als Chef nicht auch mal mit der Faust auf den Magistratstisch?

Jetzt wird's aber ein bißchen deutsch. Meine Neigung, so zu regieren, beschränkt sich auf Fälle, wo das wirklich nötig ist. Und dann wird das nicht nach außen dringen. Wenn Dinge wirklich aus dem Ruder laufen, werde ich auch von meiner Entscheidungskompetenz gebrauch machen.

Interview: Heide Platen und Klaus-Peter Klingelschmitt