Die Linke - sprachlos!

Die bequemen Träume sind ausgeträumt - wo bleibt die linke Intelligenz?  ■ K O M M E N T A R

Konföderation, Einheit, gar „Wiedervereinigung“ mit der DDR

-was immer über die Zukunft der beiden deutschen Staaten gesagt wird, trifft in der linken und grün-alternativen Szene auf erschrockenes Schweigen oder wütende Zurückweisung. Eine dritte Verhaltensweise kapriziert sich wie in Frankfurt zu beobachten - auf die Gleichgültigkeit des postmodernen Biedermeier. Nichts Neues unterm Wolkenkratzer.

Tabus und Ängste beherrschen die Szene. Befürchtungen der DDR-Opposition werden flugs als Projektionsfläche benutzt: „Ausverkauf“, „Vereinnahmung“, „Identitätsbruch“ sind die Vokabeln, mit denen jenseits realer Probleme die Versprengten der westdeutschen Linken ihre Angst vor dem eigenen Verschwinden von der politischen Bildfläche beschreiben. Das Osteuropa des „real existierenden Sozialismus“ von Bukarest bis Gdansk war für die nicht -stalinistische Linke niemals das gelobte Land. Aber es war das graue Hinterland des westdeutschen Antiimperialismus, der den Feind in den Metropolen des Kapitalismus ausmachte. Was im Schlagschatten Moskaus geschah, wurde auch von undogmatischen Linken allzu häufig als bloßes Echo „bürgerlichen“ Dissidententums wahrgenommen. Zugleich blieben die „sozialistischen Länder“ Medium des „anderen“, verkörperten „trotz allem“ die vage Chance eines nichtkapitalistischen, ökologischen Weges aus der Krise spätkapitalistischer Apokalypseblindheit.

Menschenrechte, Demokratie und gesellschaftlicher Pluralismus waren unterdessen zu Kampfbegriffen der Rechten geworden, während die Linke in den Befreiungskämpfen der Dritten Welt die revolutionäre Perspektive weiterträumte.

Jetzt, da sich Osteuropa vom Status der „Unberührbaren“ emanzipiert und in die Geschichte zurückmeldet, ist die Linke sprachlos. In ihrem Rücken stürzen politische Massenbewegungen eine Regierung, eine Parteiherrschaft nach der anderen, reißen Mauern ein und bringen die Verhältnisse zum Tanzen - doch viele bundesrepublikanische Alt -Revolutionäre haben Angst.

Jetzt hat auch sie die Geschichte endgültig eingeholt. Bequeme „Träume“ entlarven sich als Irrtümer und Illusionen'theoretisch zusammengebastelte „Identitäten“ als brüchig und eherne politische Überzeugungen als falsche Abstraktionen von der historischen Wirklichkeit. Das starre Festhalten an der deutschen Zweistaatlichkeit und einem sozialistischen „dritten Weg“ für die DDR ist schon heute eher tragikomischer Ausdruck kompletter Hilflosigkeit als ernsthafte Argumentation gegen die Rechte, die nach Kohls „Zehn-Punkte-Plan“ mehr aufbietet als bloße „Wiedervereinigungs„-Rhetorik.

Wo bleibt die linke Intelligenz? Wo bleibt der Mut zu sagen, was ist, wo der Blick auf realistische Perspektiven: radikale Abrüstung, ökologischer Umbau in ganz Europa und eine europäische Kultur, die kosmopolitisch ist, weil sie keine ideologischen Ausgrenzungen mehr kennt, und international, weil nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation das Nord-Süd-Verhältnis auf der Tagesordnung steht.

Reinhard Mohr