SPD: Eiertanz um staatliche Einheit

■ Zustimmung zu Kohls Förderationsplan wird jetzt durch Interpretationen relativiert / Rühe: „Republikaner„-Töne von Lafontaine

Bonn (taz) - Die SPD sucht weiter verzweifelt nach einer deutschland-politischen Linie. Die zunächst im Bundestag klar ausgesprochene Zustimmung zu Kohls Wiedervereinigungsplan hatte Irritationen in der Bundestagsfraktion und Protest an der Parteibasis ausgelöst und wird nun durch nachgeschobene Interpretationen relativiert. Nach gestriger Darstellung des Fraktions-Vizes Horst Ehmke soll es Karsten Voigts Worte „Wir stimmen in allen zehn Punkten zu“ so nun gar nicht gegeben haben; außerdem hätte Voigt „aus dem Stand“ antworten müssen. Schließlich hatte die Fraktion damit ja nicht nur eine deutsch-deutsche Konförderation begrüßt, sondern auch das von Kohl formulierte Ziel einer „förderativen Ordnung“ und einer „staatlichen Einheit“. Heute wird nun die SPD-Fraktion einen Antrag im Bundestag zur Abstimmung stellen, in dem es heißt, die „Vorschläge“ Kohls „zur stufenweisen Entwicklung der Zusammenarbeit mit der DDR“ seien „zu begrüßen“. „Unabdingbare Voraussetzung“ dafür sei aber die Anerkennung der polnischen Westgrenze. Außerdem verlangt der Antrag die Ablehnung der Modernisierung der Kurzstreckenraketen. An diesen beiden Forderungen war zuvor das Ansinnen einer All -Parteien-Erklärung gescheitert. Wie sich allerdings die SPD heute verhalten wird, wenn die Koalition Kohls Zehn-Punkte -Programm gesondert zur Abstimmung hält, das ließ Ehmke gestern vorsichtshalber offen.

Und er wich ebenfalls einer Antwort aus, ob die SPD denn nun für die staatliche Einheit sei oder nicht. Ehmke: „Das ist eine falsche CDU-Frage.“ Lieber flüchtet sich der Fraktions-Vize ebenso wie andere führende Sozialdemokraten in die fortgesetzte Beteuerung, die Union habe nun sozialdemokratische Vorstellungen übernommen, weil sie sich „die Politik der kleinen Schritte“ zu eigen gemacht hätte. Beide Parteien unterscheide in der Deutschlandpolitik „nur der Sprachgebrauch“ (Ehmke), „die Rhetorik“ (Momper). Auf dem Berliner Parteitag dürfte es der Führungsriege allerdings schwer fallen, der Partei klarzumachen, wie eine Wahl gewonnen werden soll, wenn sich die SPD beim Wahlkampfthema Nummer eins von der Regierung nur verbal unterscheidet. Angesichts ihres patriotischen Schleuderkurses können Rechte die SPD nun gar von links kritisieren: Lafontaines Warnung vor dem „Zugriff“ der Übersiedler auf das hiesige Sozialsystem bezeichnete der CDU -Generalsekretär Rühe gestern als „Republikaner-Töne“, die in „gefährlicher Weise die Stimmung an den Stammtischen aufgreifen“ würden. Rühe: „Lafontaine gebührt die Ehrenmitgliedschaft bei den Republikanern.“

Washington/ Berlin (ap/dpa/wps) - Zwei Tage vor dem der historischen Lage adäquaten schwimmenden Gipfel der Supermächte ist klar, daß ein zentrales Thema die deutsche Frage sein wird. Vor einem „deutschen Revanchismus“ hat der sowjetische Außenminister Schewardnadse gewarnt. Zum Thema Wiedervereinigung sagte er in Rom, er halte konföderative Strukturen zwischen den beiden deutschen Staaten für denkbar, nicht aber einen Bundesstaat. Sein Sprecher Gennadi Gerassimow erklärte: „Niemand in Europa ist begierig, ein vereintes Deutschland zu sehen, weil es die gegenwärtige Stabilität in Europa umstoßen würde.“ In einem Gespräch mit seinem italienischen Amtskollegen Gianni de Michelis hatte Schewardnadse hinzugefügt, falls die Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937 als Ziel fallengelassen werde, könnte die Sowjetunion ihre Ablehnung des von Kohl formulierten Plans überdenken. Eine Konföderation sei denkbar, ein Bundesstaat allerdings nicht.

Sein US-amerikanischer Amtskollege James Baker meinte auf einer Pressekonferenz in Washington, eine „Vereinigung“ könne nur allmählich vonstatten gehen, und dieses vereinigte Deutschland müsse eindeutig der NATO angehören. Und zuallererst seien in Anlehnung an Kohls Plan freie Wahlen in der DDR nötig. Eine Einheit könne vielerlei bedeuten, „einen einzigen Bundesstaat, eine Konföderation oder etwas anderes“.

In Frankreich wird laut Außenminister Roland Dumas vor jeglicher „Überstürzung“ gewarnt. Dumas zufolge sollte die deutsche Frage nur im Kontext der europäischen Integration erwogen werden. Er hoffe, daß Bonn „die Skeptiker“ widerlege und „daß es für sie zwischen der Gemeinschaft und der DDR keine Wahl zu treffen gibt“. Außenminister Genscher, der zuvor in London versuchte, den Kohl-Plan zu verkaufen, wollte gestern in Paris die Wogen glätten. Ein wichtiger Punkt: die Anerkennung der Westgrenze Polens.