DIE WELT IN HÄNDEN

■ Eine Ausstellung in der Staatsbibliothek zeigt Globen & Karten als Modelle von Erde & Raum

„Die Gestalt dieser Welt vergeht.„ (Paulus von Tarsus

Spätenstens seit der griechischen Antike sind Globen als Modelle von Vorstellungsbildern über die Erde belegt. Die Notwendigkeit solcher Bilder betonend, „um uns in der Welt zu orientieren“, kam einer der Festredner während der Ausstellungseröffnung auf den Zwiespielt zwischen „Welt der eigenen Erfahrung“ & „Welt, die indirekt vermittelt wird“, zu sprechen. Mit gutem Grund; offenbart doch gerade die Beziehung zwischen Karte & Territorium Wesentliches über unser Verhältnis zum Imaginären der Repräsentation & dem Realen. Beispielsweise schreibt Claude Ollier, Autor von La Mise en Scene, in seinem Essay „Les inscriptions conflictuelles“ die Bedeutung einer vor ihm gehangenen Karte für La Mise en Scene so fest: “... eine erste Gruppe von bekannten Gegensätzen - Ebene/Gebirge, Fruchtbarkeit/Trockenheit, arabische Stämme/Berberstämme, islamisches Recht/Gewohnheitsrecht, geschriebene Sprache der Ebene/nicht schriftlich fixierter Dialekt in den Bergen usw. - & diese erste Gruppe wird überlagert von einer zweiten, die durch jene Zone im Zentrum determiniert wird, eine Folge der fehlenden kartographischen Erfassung, d.h.: Fülle/Leere, Überfluß an Orientierungszeichen/Tilgung aller Orientierungszeichen, bekannte Wege/unberührte Wege, vermessenes Land/terra incognita, Sprache/Stille, geschriebener Text/weißes Blatt usw. Und weiterhin: von den Eindringlingen erobertes Gebiet/Gebiet der Verweigerung, Bereich der Kollaboration/Zone des Widerstands, kolonialisiertes Volk/freies Volk...“

Ollier war Kolonialbeamter & als solcher mit der Karte & ihren weißen Flecken beschäftigt. Einige Jahre später treibt ein anderer Franzose die Diskussion auf eine neue Ebene: „Denn wenn die Simulatoren von heute versuchen, das Reale, das gesamte Reale, mit ihren Simulationsmodellen zur Deckung zu bringen, so handeln sie nicht weniger imperialistisch als die Kartographen von damals. Allerdings geht es nicht mehr um die Karte oder das Territorium. Denn etwas ist verschwunden: die souveräne Differenz zwischen beiden, & damit der Charme der Abstraktion. Gerade die Differenz macht die Poesie der Karte & den Charme des Territoriums, die Magie des Begriffs & den Charme des Realen aus.“ (Baudrillard)

Wie sagte ein anderer Festredner? „Der alte Globus ist ein Kulturgut. Er muß gepflegt, gesammelt & ausgestellt werden.“ Damit der Betrachter in musealer Inszenierung noch einmal die Poesie der Karte, dem Charme des Territoriums nachhängen kann.

Die Ausstellung präsentiert Erdgloben, Mondgloben, Himmelsgloben, Planisphären, Planetarien & Tellurien. Darum herum sind zeitgenössische Dokumente, Karten & Bilder angeordnet, die die Wechselwirkungen zwischen Globusherstellung & wissenschaftlichen Errungenschaften verdeutlichen. Ein Hauch abenteuerlicher, abgeschlossener Geschichte liegt über allem.

Beginnend bei kolorierten Kupferstichen des ptolemäischen Weltbildes & einer Weltkarte von 1493, die die Söhne Noahs, die Erde haltend, zeigt, wandert man inmitten von Entdeckungsreisenden & Händlern, deren Fahrten sich auf die Globengestaltung niederschlug. Der umfangreiche Katalog zur Ausstellung schreibt Zusammenhänge fest & deutet manch Wichtiges nur in Nebensätzen an. Mal wieder verbinden sich die Ströme des Geldes mit wissenschaftlichen Erkenntnissen; welches Land verfügte zu welcher Zeit über die Vorherrschaft auf See? Welche Länder waren aus diesen Gründen in Kriegshandlungen verwickelt? Welche Handelsgesellschaft konnte sich im Kampf um neuentdeckte Gebiete behaupten? Wer schaffte genug Geld an, um Astronomen & Kartographen zu beschäftigen?

Neuentwickelte Meßinstrumente wurden in erster Linie in der Schiffahrt gebraucht. Die auf den Entdeckungs- & Beutefahrten gemachten Beobachtungen von Küstenverläufen & Inseln wurden sorgsam geheimgehalten. Könige & Fürsten beauftragten Landvermesser mit der Kartographie ihres Herrschaftsbereiches, um diesen besser unter Kontrolle zu halten. Sie ließen ihre Nachkommen an Globen erziehen, sich der Bedeutung von geostrategischem Planen & Handeln bewußt. Und auch das Militär hatte seine eigenen Gründe, sich mit Karten & Globen auseinanderzusetzen.

Diese eher pragmatischen Hintergründe kommen in der Ausstellung vielleicht etwas zu kurz, wenn man dort die Bilder betrachtet, die gelehrte, alte Männer in Bibliotheken & Akademien zeigen. Gelegentlich findet sich ein Beleg für das Streben nach Weltbeherrschung durch Besetzen eines Vorstellungsbildes; etwa bei dargestellten Himmelsgloben, die statt „heidnischer“ Tierkreiszeichen „christliche Apostel & Heilige zeigen. Und auch ein islamischer Himmelsglobus liefert in seiner Darstellungsart eine andere Vorstellung von Welt.

Mit dem der Technik innewohnenden fortschreitenden Demokratisierungsprozeß fanden Globen schließlich ihren Einzug in den subtileren Herrschaftsbereich des Bildungswesens. Nun wurden billigere, handlichere & didaktische Erdkugeln für den Aufklärungsbedarf erdacht: keine aufklappbaren Taschengloben oder faltbare aus Pappe. Ein Exponat von 1860, ein Weltkugelspiel, ist aus hölzernen Teilen zusammengesetzt, die sich auch zu Scheiben zusammenlegen lassen, auf deren Ober- & Unterseiten jeweils Erdteil & „wilde“ Bewohner abgebildet sind.

Ein Globus mit Uhr, ein auf die Erde zentriertes Planetarium... Belege, wie mensch sich Umwelt zu eigen machen versuchte. Ein Atlas mit Himmelsglobus von 1700 zeigt am Boden wachsende Fliegenpilze, womit den Weltmodellen eine etwas ekstatischere & relativere Bedeutung zukommen würde. Schließlich darf nicht der tatsächliche Einfluß vergessen werden, den die extensiven Methoden der Psyche, die Technologien, auf Weltbetrachtung & Globengestaltung hatten. So bemerkt Simultan-Simulator Peter Weibel: „Eine veränderte avancierte Technologie schafft ein verändertes Territorium als Grundlage des sozialen Lebens, das territorial umgeformte soziale Leben erzeugt eine neue Technologie.“ Und Bezug nehmend auf einen Globus, der keine Flecken mehr aufweist, auf unser heutiges Verhältnis zu Karte & Territorium anspielend, kann man Weibel lesen, wenn er sagt: „Die Stimme des Realen hören wir nicht im Realen selbst, sondern im Symbol. Und das ist es, was der Computer, die küstliche Intelligenz als Symbol einer gewaltigen Veränderung, einer neuen extraterritorialen Technologie unserer Gesellschaft in der elektronischen Epoche vor Augen führt: Das Erfinden eines neuen Territoriums, das Erfinden des Realen durch eine deterritorialisierende Technologie.“

Paul Virilio weiß von einem anderen Weltmodell zu berichten: „Anläßlich einer Begegnung berichtete mir der negropontische Architekt & Informatiker, das Pentagon verfüge über eine neue Art von Planisphäre, die ein Ergebnis der Überprüfung der Versorgungsquellen des Erdballs durch Spionagesatelliten sei. Im Zuge der Kontrolle ganz verschiedenartiger Bewegungen überprüfen die Militärs auch jede Woche den Zustand der Städte: Sobald in einem Viertel ein Bauwerk fertiggestellt ist, wird es in den Weltkataster der amerikanischen Armee aufgenommen, was für jede Stadt in allen Staaten, allen Nationen gilt. Das Gebäude wird erfaßt, wie früher topographische Pläne der eroberten Gebiete aufgenommen wurden (...).“

Die Poesie der Karte, der Charme des Territoriums...

R.S.

...anhand der Globen noch zu betrachten bis zum 13. Januar in der Staatsbibliothek.