: Rettet die Mauerkunst-betr.: "Teile stehen lassen wie in Pompeji", taz vom 18.11.89
Betr.: „Teile stehen lassen wie in Pompeji“, taz vom 18.11.89
Die Mauer kriegt Löcher. Es werden jeden Tag mehr. Bagger und Kräne rupfen von Osten aus die Betonplatten im Stück aus der Erde. Tausend kleine Hämmerchen picken von Westen aus an der Oberfläche herum. Aber die Mauer ist die größte freie Kunst- und Graffitifläche der Welt. Da sind in vielen Winkeln Graffitis zu sehen, gesprühte, gepinselte, gemalte, geschriebene, weiß der Himmel, wer sie gemacht hat, aber sie sind gut. Es sind gekonnte Zeichnungen darunter, witzige Kombinationen, da werden Geschichten erzählt und wird Geschichte festgehalten, Kunstgeschichte, politische Geschichte, private Geschichte.
Es ist Zeit für schützende Sofortmaßnahmen der weitreichenden Art; private Initiativen reichen nicht mehr aus. Es geht um eine öffentliche Aufgabe größerer Dimension. Nötig ist die Einrichtung einer Senatskommission für Mauerkunst. Deren dringendste Aufgaben wären:
1. Herstellung eines Videofilms von der gesamten Mauer in ihrer bemalten Länge.
2. Bildung einer Kunstsachverständigengruppe, die eine Prioritätenliste der erhaltenswerten Graffitiflächen aufstellt.
3. Verhandlungen mit Ost-Berlin, die darauf zielen, ausgewählte Mauerabschnitte im Vorgriff sicherzustellen und für den Fall eines später geplanten Abrisses anzukaufen.
Hartmut Kugler
(...) Fast 30 Jahre Existenz haben die Mauer zum berühmtesten Bauwerk der Stadt und zu einem einzigartigen politischen und kulturellen Denkmal gemacht. Die Mauer ist außerdem die größte Wandzeitung der Welt, ein wunderbares Terrain für MalerInnen und AktionskünstlerInnen. Mit der Öffnung der Mauer steht mit einem Schlag doppelt soviel Wandfläche zur Verfügung, da das Bauwerk auf der anderen Seite noch jungfräulich ist. Machen wir die Mauer jetzt durchlässig! Durchgänge für FußgängerInnen, RadfahrerInnen, Züge und Autos soll es geben. (...)
Jürgen Kawelat, Berliner Geschichtswerkstatt e.V., Goltzstraße 49, 1000 Berlin 30
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen