Eine Lehrstunde im RAF-Verfahren

Prozeß unterbrochen: Wurde 6.Senat des Oberlandesgerichts (OLG)Düsseldorf vorschriftswidrig gezielt auf Kilpper angesetzt?  ■  Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) - Der Prozeß gegen den Düsseldorfer Thomas Kilpper, dem die Bundesanwaltschaft „mitgliedschaftliche Beteiligung“ in der RAF sowie Urkundenfälschung vorwirft, ist am Donnerstag überraschend unterbrochen worden. Der 6. Senat des OLG sah sich dazu gezwungen, nachdem die Verteidigung in einer juristischen Lehrstunde die Besetzung des Senats gerügt und kritisiert hatte, daß der Prozeß vor dem 6.Senat „nicht dem Gesetz entspricht“.

Ursprünglich sollte Thomas Kilpper vor dem zuständigen 5.Senat, der die Anklage auch schon zugelassen hatte, der Prozeß gemacht werden. Jetzt steht in Frage, ob dem Angeklagten Kilpper der ihm zustehende „gesetzliche Richter“ entzogen wurde. Von Gesetz wegen müssen im jährlichen Geschäftsverteilungsplan der Gerichte die Aufgaben nach abstrakten und sachlich objektiven Merkmalen verteilt werden. Damit soll verhindert werden, daß für bestimmte Einzelfälle spezielle Richter ausgesucht werden. In der Praxis bedeute dies, so Rechtsanwalt Rüdiger Deckers, „daß zuerst der Richter und der Spruchkörper bestimmt sein müssen, und erst dann können die Verfahren verteilt und umverteilt werden“. Eine Umverteilung ist in jedem Fall nur ausnahmsweise, zum Beispiel wegen Überlastung, zulässig.

Im vorliegenden Fall, so Verteidiger Deckers, entstehe aber der „böse Anschein“, daß die „Installierung des 6.Senats konkret auf die Sache Kilpper zugeschnitten war, die Sache vorher feststand und dann die Richter gefunden wurden“. Für diesen „Anschein“ präsentierte Deckers eine Fülle von Belegen. Am 8.Juni 1989 zeigte der Vorsitzende des 5.Senats, Belker, dem Präsidenten des Oberlandesgerichts eine Überlastung seines Senats an. Auf die sofortige Rüge der Verteidigung, der 5.Senat habe die Überlastung zu spät angezeigt, antwortete die Bundesanwaltschaft am 9.0ktober: Die Rüge gehe fehl, denn zum Zeitpunkt des Eingangs der Anklage gegen Kilpper am 22.2.89 sei der 5. Strafsenat, vor dem auch das sogenannte „Kurdenverfahren“ verhandelt wird, „noch nicht überlastet“ gewesen. Erst nachdem die Anklage gegen zwei Iren beim 5.Senat eingegangen sei und die Rebmann -Behörde dem 5.Senat mitgeteilt habe, daß mit zusätzlich elf Anklagen im Kurdenprozeß zu rechnen sei, „war die Überlastung zu erkennen“. Tatsächlich aber kam die Anklage gegen die zwei Iren nach der Kilpper-Anklage, war also „nachrangig“, und im Kurdenprozeß wurden nur zwei Anklagen erhoben.

Ausgerechnet der angeblich überlastete 5.Senat gab dann auch noch zwei Richter, nämlich Krantz und Steffen, an den neu eingerichteten 6.Senat ab. Dieser Wechsel steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kilpper-Verfahren, denn Richter Steffen, der in dieser Sache schon im 5.Senat die Funktion des Berichterstatters ausgeführt hat, ist nun auch im 6.Senat Berichterstatter. Auch durch ein Schreiben des OLG-Präsidenten an den 5.Senat sieht sich die Verteidigung bestätigt. Dort heißt es, die Gründung des 6.Senats erfolge, damit dieser im Fall Kilpper „beschleunigt einen Termin zur Hauptverhandlung bestimmen kann“. In der nächsten Woche will das Gericht verkünden, wie es weitergeht.