Bonn apart: Kleinkunstbühne am Rhein

■ Inmitten hemdsärmeliger Betriebsamkeit werden große Fragen ans Parlament gestellt

Im Bonner Regierungsviertel kann man sich über „große“ Themen derzeit nicht beklagen. Viele Parlamentarier bewegen sich, als habe der Mantel der Geschichte sie persönlich gestreift. Doch zwischen Haltung und Ergebnis klaffen Welten. Auch die zukünftige Zusammenarbeit mit der DDR wird in der gewohnten Kleinkunsttradition der Bonner Bühne abgehandelt. Nur das peinliche Gebuhle der SPD um die Union fällt aus dem Rahmen des Gewohnten. Das Geschäft der Politik wird hemdsärmelig und bieder betrieben, der Parlamentarismus müht sich redlich, doch wer viel Wind macht, bringt trotzdem noch keinen Durchzug ins Land.

Die deutsch-deutsche Entwicklung liefert unerwartete Gefahren für das Provisorium Bonn. Parlamentarier wie die Präsidentin Rita Süssmuth und der SPDler Peter Conradi denken schon darüber nach, was aus den hinterlassenen Bonner Bauten wird, falls Berlin wieder richtige Hauptstadt wird. Das „schönste deutsche Audimax“ könnte der Bundestagsneubau für die Bonner Uni werden, sagt Conradi.

Inmitten des täglichen Gedrängels der eigenen Wichtigkeiten lassen zwei Buchvorstellungen innehalten und die Institution Bonn hinterfragen. Die Skandale der Republik von der Büchergilde Gutenberg hält Bonn den Spiegel seiner schmuddeligen Geschichte vor. Alle tauchen sie auf: der Mord -Vordenker der Nazis und Adenauer-Staatssekretär Globke, der meineidige Zimmermann, Franz-Josef Strauß und die 'Spiegel' -Affäre, die Atom- und Militärskandale vom witwenmachenden Starfighter bis zum U-Boot-Export nach Südafrika. Es sind viele Skandale, und einige mehr ließen sich noch finden. Aufgedeckt hat sie zumeist die Presse. Zur Wahrheitsfindung haben die Parlamentarier selten viel beigetragen: Untersuchungsausschüsse versandeten und Rücktritte gehören erst recht nicht zur politischen Kultur. Wenn Politiker die Konsequenzen tragen würden, dann könnte es auch einen Verfassungspatriotismus in der Bundesrepublik geben, sagt Mitautor Norbert Gansel von der SPD. Dennoch sei dies ein optimistisches Buch: „Diese Republik gäbe es nicht mehr, wenn es nicht die Nestbeschmutzer gegeben hätte, die diese Skandale aufdeckten.“ Und der Grüne Alfred Mechtersheimer, ebenfalls mit einem Beitrag vertreten, merkt klug an, Skandale seien immer auch „Demokratisierungsschübe“ für die Republik. Die dadurch ausgelösten Protestbewegungen glichen den Schaden aus.

Der SPD-Abgeordnete Michael Müller stellt das Bonner Parlament von anderer Seite auf den Prüfstand. Die Klimakatastrophe heißt das Buch, das er zusammen mit Peter Hennicke vom Freiburger Öko-Institut im Dietz-Verlag herausbrachte. Müller, erfahren in der kräftezehrenden Arbeit der Klima-Enquete-Kommission des Bundestags, treibt die Sorge um, das Parlament sei der Aufgabe nicht gewachsen. In der Tat gehört das Szenario der drohenden Katastrophe zum Standard-Repertoire aller Parlamentarier; im Bundestag aber läuft alles weiter im gewohnten Trott, die Überlebensfrage der Menschheit wird in derselben Weise gehandhabt wie banalste Verordnungen. Man müsse „weg vom rechthaberischen hin zu einem lernfähigen Politikstil“, sonst seien die globalen Probleme nicht lösbar, mahnt Müller. Anzeichen dafür sieht er nicht.

Gerd Nowakowski