Aids-Obdachlosigkeit: Klinik besetzt

■ Mehr als 50 Aids-Aktivisten besetzten am Freitag eine leerstehende Klinik in Kreuzberg / Die Polizei räumte nach einer Stunde / Keine Gewalt, kein Austausch von Zärtlichkeiten / Besetzer wollen auf Obdachlosigkeit von mehr als 80 Aidskranken aufmerksam machen

Licht, fließend Wasser, Zentralheizung und frisch bezogenene Betten - Traumvoraussetzungen für eine Hausbesetzung hatten am Freitag abend mehr als 50 Aids-Aktivisten. Sie besetzten ein seit zwei Jahren leerstehendes ehemaliges Belegkrankenhaus in der Kreuzberger Methfesselstraße. Die Besitzer, ein Hamburger Ehepaar verhandeln mit dem Senat über eine Nutzung als Kranken- oder Altenheim, angeblich ist momentan ein Aus- und Übersiedlerheim geplant. Nach einer Stunde wurden die Besetzer von der Polizei geräumt. Die Uniformierten hatten wegen der sehr öffentlichen Vorbereitungen schon früh von der Aktion Wind bekommen und warteten schon vor dem Haus, ließen die Besetzer seelenruhig die Tür knacken und einsteigen und griffen dann ein. Sie schnappten sich die Aufbrecher und räumten die inzwischen Eingestiegen raus, wo bei es weder zu Gewalt aber auch nicht zum Austausch von Zärtlichkeiten kam. So mußte der Großteil der geplanten Besetzung, zu der auch das DDR-Fernsehen, Rias TV und der Filmemacher Rosa von Praunheim gekommen waren, bei unbequemen Minusgraden unter freiem Himmel stattfinden.

Mit der Besetzung wollten meherere Aids-Organisationen unter anderem die Berliner Aids-Hilfe - auf die Obdachlosigkeit von Aidskranken aufmerksam machen. Wie Ärztekammerpräsident Ellis Huber am Samstag auf einer Pressekonferenz der Besetzer sagte, sei die Obdachlosigkeit von mindestens zehn Prozent der etwa 800 Berliner Aids -patienten sei „ein öffentlicher Skandal“, dem die Verantwortlichen nicht entgegensteuerten. Laut Huber kümmern sich bisher nur einzelne Ärzte um die ambulante Behandlung, das Gesundheitswesen insgesamt habe sich noch nicht darauf eingestellt. Hans-Dieter Heil vom Arbeitskreis Aids der niedergelassenen Ärzte forderte die Verbesserung der ambulanten Pflegemöglichkeiten. Dazu sei auch eine stärkere Kooperationsbereitschaft der Krankenkassen notwendig, die den Ärzten momentan eher mit „Wirtschaftlichkeitsprüfungen drohten“. Ein Vertreter des Selbsthilfevereins HIV e.V., der häusliche Pflege organisiert, sagte, daß Wohnungen von Aidspatienten oftmals nicht krankengerecht seien. Es fehlten Bad, Innentoilette, Heizung und Fahrstühle, außerdem sollten Wohnungen für Aidskranke möglichst im Innenstadtbereich liegen. Die Anstrengungen, die der Senat bei der Unterbringung von Studenten und Übersiedlern aufbringe, müsse auch für Aidskranke möglich sein.

Am Freitag abend hatte es in der Innenstadt auch einen Trauermarsch der Berliner Positiven gegeben. Mehrere Hundert Menschen zogen schweigend, frierend und mit Kerzen in der Hand vom KaDeWe zum Kranzler-Eck.

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