Mickey Mouse und Zirkularatmung

■ Aufbruchstimmung beim 2. Jazzfestival der DDR in Weimar (23. bis 26.11.)

Weil die Organisatoren des 2. Jazzfestivals der DDR in Weimar auf die Werbung für die zentrale Leistungsschau des DDR-Jazz fast völlig verzichtet hatten, spielten vom 23. bis 26. November rund 350 Musiker in 65 Ensembles fast ausschließlich vor Fachpublikum. Der Jazz habe seine Anziehungskraft für die oppositionelle Szene verloren, mutmaßten die Veranstalter und trösteten sich damit, ein großer Teil des Jazzpublikums sei wohl zur Schnuppertour auf Westreise. Sie dürften sich, so das Stimmungsbild unter den wenigen zahlenden Jazzfreunden, täuschen. Denn auch jene, die kamen, empfanden eine derartige, im alten Stil organisierte Großveranstaltung als antiquiert.

Die Federführung für die viertägige Leistungsschau des DDR -Jazz lag bei der Generaldirektion des „Komitees für Unterhaltungskunst“, also einer höchst offiziellen Institution. Die hatte zwar nach Streitereien um das erste Jazzfestival der DDR im Jahre 1985 Vertreter der Musiker in die Auswahlkommission gehievt, doch für die aus dem Dornröschenschlaf erwachten DDR-Bürger behielt das Festival den anrüchigen Geschmack einer staatlichen Veranstaltung.

Die Auftritte von 65 Ensembles, die aus 130 Bewerbungen ausgewählt wurden, spiegelten die Verhältnisse im Land. Viel Betuliches gab es hier, und viel Konventionelles, das im Westen kaum den Weg auf ein Festival geschafft hätte. Programm-Maxime war jedoch, allen Stilrichtungen gleiche Chancen einzuräumen, und so gingen die eigenständigen, originellen Beiträge fast in der Flut der Konzerte zwischen Dixie und improvisierter Neuer Musik unter.

Hervor stach die witzige Show des New Phantastic Orchester mit einer fröhlichen, vom Free Jazz bis zum Deep Purple -Klassiker Smoke on the Water reichenden Musikcollage. Daß sich der Bandleader mit den Westinsignien wie einer US -Flagge oder einem „Boss„-T-Shirt ausstaffierte und Mickey Mouse mittanzte, wirkte weniger als Anbiederung an westliche Gepflogenheiten, sondern eher wie eine Warnung vor der Amerikanisierung der DDR-Kultur.

Denn die geographische und geistige Enge der DDR sowie Reiseverbote und Reisebehinderungen hatten in den siebziger Jahren für eine unverwechselbare Note des DDR-Jazzes gesorgt. Drüben ist die Musik der Avantgarde intellektueller als bei westlichen Ensembles - das lag an der musikalischen Lizenzvergabe, die von Berufsmusikern normalerweise einen Hochschulabschluß erwartet.

Den hatte auch Dietmar Diesner, der mit hoch erhobenem Saxophon das Festival eröffnete. Als wolle er einen Freiraum vermessen, schritt er über die Bühne und produzierte per Zirkularatmung einen Dauerton, den er - endlich am Mikrophon angelangt - bei ununterbrochenem Grundstrom um flirrende Obertöne ergänzte. Dieses zehnminütige Bekenntnis zum Ungezügelten hatte Symbolcharakter: Diesner disziplinierte alles Wilde durch handwerkliches Können.

Er bekannte sich mit Tönen zur Opposition, während der Saxophonist Ernst-Ludwig Petrowsky, der Nestor der DDR -Jazzer, eine kesse Lippe riskierte. Das Komitee für Unterhaltungskunst gehörte als Gärtner ins SED-Ghetto Wandlitz, verkündete er, und die simplen Schlagerklänge könnten sie gleich mitnehmen. Den Jazz wolle er pflegen, denn der kultiviere das Besondere und Individuelle. Was der exzellente, im Westen längst bestens verankerte Saxophonist jedoch im Duo mit Uschi Brüning bot, strafte die verbalen Absichtserklärungen Lügen: Eindeutig gab der Mann die Themen vor, und nicht minder eindeutig brillierte er als Solist, während ihr die Nischen in seiner Duo-Musik blieben.

Das Alte ist überholt - und doch aktuell. So widmete das vom Schlagzeuger Günther Baby Sommer geleitete „Jazzorchester der DDR“ sein Programm den alten Arbeiterliedern und den Schalmeien. Der Bevölkerung zurückholen, was in protzigen Aufmärschen sinnentleert und verkommen war, wollte der Bandleader, und nahm beispielsweise mit einer Melange aus einem Schunkelstück und dem im KZ Börgermoor entstandenen Lied der Moorsoldaten den gedankenlosen Umgang mit dem antifaschistischen Erbe aufs Korn.

Der Rest des Festivalprogramms, immerhin noch 62 weitere Auftritte, bewegte sich in den gewohnten Gleisen: Ein Jazz -Band-Ball unterhielt das Publikum in der Weimar-Halle, und je eine Dixienacht und eine Swingnacht hatten im Kasseturm regen Zulauf. Das Choralkonzert in der Jacobskirche, Auftritte von Bebop-, Swing-, Mainstream- und Free-Ensembles fanden dagegen fast ausschließlich beim Fachpublikum Interesse.

Werner Stiefele