Dem schönen Theater die Lust ausgetrieben

■ Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“ in der Komödie in Basel

Ein Frauenbein in weißem Strumpf streckt sich kokett durch einen Vorhangschlitz, schon greift eine Männerhand danach. Und, schwuppdiwupp, ist's Beinchen weg, der Vorhang auf, ein Zwerg im Frack kommt mit einem Schild: „Die Klavierspielerin - ein Melodram“. Der erste Akt, die ersten Trommelschläge.

„Die Klavierspielerin Erika Kohut stürzt wie ein Wirbelstrum in die Wohnung, die sie mit der Mutter teilt. Die Mutter nennt Erika gern ihren kleinen Wirbelwind, denn das Kind bewegt sich manchmal extrem geschwind. Es trachtet danach, der Mutter zu entkommen. Erika geht auf das Ende der Dreißig zu. Die Mutter könnte, was ihr Alter betrifft, leicht Erikas Großmutter sein. Nach vielen harten Ehejahren erst kam Erika damals auf die Welt“, rezitiert eine Frau in weißer Weste und schwarzer Hose. Ihre Stimme schallt gebieterisch über die Percussionisten hinweg, die unter ihr tönend kommunizieren. Was sie zitiert, ist der Beginn des Romans Die Klavierspielerin und zugleich Anfang des Melodrams: eine Beziehung zwischen Mutter und Tochter.

Elfriede Jelineks Roman wird in Basel nicht als Schauspiel aufgeführt. Vielmehr vollzieht sich das Ungeheure dieser weiblichen Selbstentblößung im wahrsten Sinne als Hör-Spiel. Stimmen, Percussionklänge und Tonbandlaute beherrschen den Raum. Das sichtbare Bühnengeschehen verkommt zu bloßen Variete-Nummern. Abziehbilder, Klischees, überkommene Symbole bieten sich hier unverhohlen an, preisen wie Leuchtreklamen käufliche Ware an. Die Zuschauer hätten ungestört ihr Vergnügen am Geschehen, wenn ihre Ohren nicht Donnertrommel, Glockenschlag und Blechgeräusch ausgesetzt wären, die - von Percussionistenhänden und Tonband erzeugt ihnen Hören und Sehen vergehen lassen. Nichts geht mehr, ohne gebrochen zu sein. Der klammheimliche Voyeurismus eines jeden ist gestört. Und das scheint die Absicht dieser Inszenierung in Basel.

In Patricia Jüngers Melodram Die Klavierspielerin verkürzt sich das Romanoriginal auf Mutter und Tochter. Männer bleiben außen vor. Erikas Liebeserfahrungen, ihre Stippvisiten in die Außenhöhlen der Lust, spiegeln sich hier im Innenraum dieser Zweierbeziehung. Da ist zum einen Erika (Christina Ascher), die Kunstfigur. Als Traum der Mutter schwebt sie ein, im weißen Kleid auf einer Schaukel. Als Püppchen kommt sie der Mutter gerade recht, denn die will hoch hinaus mit ihrem einzigen Kunst-Werk. Erika, die Ahnungslose, wird zurechtgestutzt, dem Püppchen werden Arme und Beine ausgerissen. Die Stimme wird zur hohen Kunst erhoben, und Fleisch und Blut werden dem Werk geopfert. So äußert sich dann auch diese Erika in penetrant wiederholten Gesangsplatitüden, die wirklich auf die Nerven gehen. All die gewagten Selbstäußerungen dieser Figur bleiben künstlich, befangen, abstrakt. „Sie hat alles an sich geschlossen, was da Verschlüsse hat. Die Natur scheint keine Öffnungen in ihr gelassen zu haben.“ Demgegenüber füllt sich die Schauspielerin Reinhild Solf in überragender Manier mit dem Leben derer, denen sie Stimme und Körper leiht. So schlüpft diese eigenlose Person abwechselnd in die Rollen der Erzählerin, der Mutter und Erika und mischt so, was verschieden scheint, ineinander. Aber da ist dann doch noch eine Figur, der Mann im Zwergenformat mit rotem Schopf, der Minimann? Er mimt das Nummerngirl, hilft hier und da die Requisiten richten, ist ab und zu stiller Voyeur, und lenkt sich doch von den Frauen ab. Er ist ein Gag, der kleine Mann zwischen großartigen Frauen, der Einbruch in die Mutter -Tochter-Symbiose, der diesem Frauen-Melodram ein slapstickartiges Mal versetzt. Hat damit die Basler Regie den Bogen freier Inszenierung überspannt?

Patricia Jünger, Komponistin des Melodrams, wollte und will keinen Mann im Stück (die taz berichtete über den Skandal im Foyer, pünktlich zur Uraufführung). Das Basler Theater, die Regisseurin Barbara Mundel und Veit Volkart setzten sich darüber hinweg und drückten ihr gleich zwei Männer aufs Auge: den Dirigenten zuunterst und den Zwergmann zuoberst. Beide legen Hand an ans Frauen-Melodram. Der eine gibt den Takt vor, der andere macht sich zum Handlanger weiblicher Selbstzerstörung. Patricia Jünger sieht damit ihr Werk verhunzt. Doch deutet das Bühnengeschehen mit Männern auf etwas hin, das eklatant darin steckt: die Penetranz des immergleichen Voyeurismus. Wenn auf der obersten Bühne im Rotlicht etwas zu sehen ist - das Publikum schaut gerne zu -, dann wirken Gesang, Töne, Klänge und Geräusche unangenehm störend. So sind es die Widersprüche dieser so verschiedenen Wahrnehmungsebenen, die am Rande doch mitwirkenden Männerfiguren, welche die Basler Inszenierung zu einem Theaterereignis machen, das ins Mark dessen trifft, der so gern nur Zuschauer wäre, ein genießerischer Voyeur im Dunkeln. Und das ist die Klasse dieser Inszenierung: dem schöngeistigen Theater wird hier das Leben ausgetrieben. Es wird kein Theater gemacht. Ein wirklich provokant lohnendes Stück Entäußerung auf der Bühne der Komödie in Basel.

Thomas Kothe