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Graciano und die Königsbiene

„Box-Gala“ in Berlin: Bevorzugte Taktik von Rocchigiani-Gegner „Kingbee“ Keys war die eilige Flucht  ■  Aus Berlin Matti Lieske

Eine „Box-Gala“ unterscheidet sich vom profanen „Kampfabend“ dadurch, daß der Preis der Eintrittskarten höher ist und das Publikum noch eine Spur absurder, daß nicht eine ordinäre Sporthalle, sondern ein renommiertes Hotel den Rahmen abgibt und daß die Leute mit den 400-Mark-Karten während der Kämpfe an ihren Tischen zügig mit Sekt abgefüllt werden. Mit der Qualität des dargebotenen Sports hat der Begriff „Gala“ nichts zu tun.

Zwar standen bei der „Box-Gala“ im Ballsaal des Berliner „Interconti“ gleich drei Deutsche Meisterschaften und ein Exweltmeister auf dem Programm, „das beste, was das Berufsboxen in diesem Lande zu bieten hat“, wie der Ringsprecher euphorisch verkündete, dokumentiert wurde indes einmal mehr der notorisch miserable Zustand des „Berufsboxens in diesem Lande“. Die „Internationale Deutsche Meisterschaft“ im Leichtschwergewicht, die der „Berliner Haustürke“ (Programmheft) Yurder Demircan gegen den Hobby -Boxer Werner Pelz nach Punkten gewann, erreichte kaum Kirmesniveau, und der 40jährige Düsseldorfer Klaus Winter, bis dato Deutscher Meister im Halbschwergewicht, war bei seiner schweren K.o.-Niederlage in der dritten Runde seinem Kontrahenten Ralf Rocchigiani derart unterlegen, daß ihn wohl auch die „Sympathieprämie“ der „Toten Hosen“ in Höhe von 200 Mark kaum getröstet haben dürfte.

Zu gefallen wußte lediglich der mit Schlangenlederhose und

-schuhen bekleidete 37jährige Haudegen Manfred Jassmann, der seinen Schwergewichtstitel gegen Kalle Heistermann verteidigte. Die offensichtlich angestrebte Rolle als Nachfolger des jungen Marlon Brando dürfte „Schlangenhaut“ zwar verwehrt bleiben - eine platte Nase allein reicht da nicht -, aber immerhin erwies er sich als ausgekochter Faustkämpfer, obwohl er seinen Sieg den labilen Augenbrauen von Heistermann zu verdanken hatte, die beide aufplatzten und in der achten Runde den Abbruch des ansehnlichen Kampfes herbeiführten.

Als Höhepunkt des Abends war der Auftritt des Exweltmeisters Graciano Rocchigiani ausersehen. Der hat sich nun endgültig entschieden, noch einmal Weltmeister zu werden, diesmal im Halbschwergewicht, und als erster Aufbaugegner war aus Baltimore/USA der völlig unbekannte, aber mit eindrucksvollen Muskeln bepackte John Keys eingeflogen worden. Schon die ersten Sekunden machten deutlich, daß dessen stolzer Beiname „Kingbee“ keineswegs dem alten Wahlspruch Muhammad Alis „Float like a butterfly, sting like a bee“, sondern eher einem Stück der ganz frühen Rolling Stones entlehnt ist: „Well I'm a kingbee, buzzin‘ around your hive.“

Johnny Keys erwies sich als äußerst vernünftiger Mann. Er befürchtete zu Recht, daß er kräftig Prügel beziehen würde, wenn er sich Rocchigiani zu sehr näherte, und so schwirrte er emsig im Ring umher, immer bestrebt, einige Meter Distanz zwischen sich und seinem potentiellen Peiniger zu schaffen. Außerdem hatte er gehört, daß ihm keiner etwas tun kann, wenn er am Boden hockt, drum setzte er sich jeweils schnell hin, wenn er aus Versehen in den Bereich von Rocchigianis Fäusten trudelte. Der war mächtig erstaunt darüber, wie leicht ihm heute die Niederschläge fielen, während der technische Direktor der Veranstaltung, Willy Zeller, der diesen Kampf komplett und unbesehen Gracianos gewieftem Manager Sauerland abgekauft hatte, sichtlich gepeinigt in seinem Stuhl zusammenschmolz.

In der zweiten Runde hatte der Exweltmeister endgültig genug von der Einerverfolgung zu zweit, und da war es dann auch mit der Parallele zu den Rolling Stones - „Well I'm a kingbee, can buzz all night long“ - vorbei. Kaum hatte Rocchigiani - abgesehen von einem schmerzlichen Leberhaken in der ersten Runde - zum erstenmal wirklich getroffen, warf sich der völlig verängstigte Modellathlet erneut flugs zu Boden und der Betreuer in der Ecke genauso flugs das Handtuch.

Rocchigiani, der nun zu einem längeren Trainingsaufenthalt in die USA reist und dort im Februar in Las Vegas boxen soll, gewann der Farce durchaus Positives ab. „Das war doch auch ein Ami“, meinte er auf die Frage, ob es in Las Vegas wohl schwieriger würde, „warum soll es da solche nicht auch geben.“

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