Optimale Entwicklung nicht in der UdSSR

Janis Dinevics, führendes Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Lettlands, zur Parteigründung und zur notwendigen Souveränität der Sowjetrepublik  ■ I N T E R V I E W

Am Wochenende wurde die „Sozialdemokratische Partei Arbeiterpartei Lettlands“ wiedergegründet. Janis Dinevics, Dozent für Elektroenergetik am Polytechnischen Institut Riga, ist führendes Mitglied dieser Partei und gehört überdies dem Vorstand des Hauptausschusses der „Volksfront“ Lettlands an.

taz: Aus Ihrer Sicht - wie hätte eine sozialdemokratische Politik für Lettland auszusehen?

Janis Dinevics: Als erstes ist eine optimale Entwicklung Lettlands nur außerhalb der UdSSR möglich. Wir sind nicht gegen eine ökonomische Integration unserer Republik, aber wir brauchen die staatliche Souveränität, die Möglichkeit zur Selbstbesttimmung im eigenen Land. Zwar ist allgemeiner gesellschaftlicher Wohlstand ein Eckwert sozialdemokratischer Politik, aber wir schließen nicht aus, daß im Fall einer Loslösung aus der Sowjetunion unsere Bevölkerung den Gürtel für eine gewisse Übergangsphase wird enger schnallen müssen. Allerdings würde ein weiterer Verbleib in der UdSSR alle Hoffnungen auf einen westlichen Lebensstandard auf absehbare Zeit zunichte machen. Anzustreben ist weiterhin eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem, wie sie sich in Westeuropa bestens bewährt hat. Wir wollen auch das für das Sowjetsystem kennzeichnende Klassendenken überwinden und eine solidarische Gesellschaft schaffen, in der sich die verschiedenen sozialen Schichten einander in Respekt begegnen, eine Gesellschaft, die sich am Individuum und an moralisch-ethischen Normen orientiert. Diese Ziele wollen wir mit demokratischen, gewaltfreien Mitteln erreichen.

Arbeiten Sie mit sozialdemokratischen Parteien in Litauen und Estland zusammen?

Zu den litauischen Sozialdemokraten unterhalten wir sehr enge Beziehungen. Auch sie wollten sich am Wochenende als Partei rekonstituieren, wir sind zu dem Kongreß eingeladen worden. Mit den Esten hat es bislang noch nicht so gut geklappt. Aber ich möchte betonen, daß die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Lettlands stets eine unabhängie Partei in einem unabhängigen Staat sein wird.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei will den parlamentarischen Weg zur Unabhängigkeit der Republik beschreiten. Nehmen wir einmal an, bei den im März 1990 anstehenden Wahlen zum Obersten Sowjet der Lettischen SSR ergäbe sich eine Mehrheit für die Souveränität Lettlands was wäre der nächste Schritt?

Die Selbstauflösung des Obersten Sowjet der Lettischen SSR und die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung.

Interview: Ojars Rozitis