„...da haben wir eben die Verfassung geändert“

■ Seit 1981 dürfen AusländerInnen in Amsterdam wählen: Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Berlin ein Gespräch mit dem stellvertretenden Bürgermeister von Amsterdam Walter Etty / Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts ist in den Niederlanden noch umstritten

Freie Wahlen in der DDR fordern die Politiker der CDU und der „Republikaner“ - und sammeln gleichzeitig Unterschriften gegen das kommunale Wahlrecht für Ausländer in West-Berlin. Was in West-Berlin seit Monaten zum Schüren von Fremdenangst und Ausländerfeindlichkeit mißbraucht wird, ist in Amsterdam seit Jahren eine Selbstverständlichkeit: Seit 1981 sind AusländerInnen dort wahlberechtigt. Was zuerst noch auf die Ebene der „Bezirksräte“ beschränkt war, wurde 1983 durch eine Verfassungsänderung - getragen auch von den niederländischen Christdemokraten - auf die Gemeindewahlen ausgeweitet. Wahlberechtigt ist, wer mindestens 18 Jahre alt ist und am Tag der Aufstellung der Kandidaten mindestens fünf Jahre in den Niederlanden gewohnt hat. Um bei den Amsterdamer Wahlen zu den Bezirksräten mitzustimmen, muß man seit wenigstens einem Jahr in der Stadt leben. Anläßlich einer SPD-Veranstaltung zum Ausländerwahlrecht waren Politiker aus den Niederlanden, Schweden und Dänemark in Berlin zu Gast. Über die Erfahrungen mit einer Selbstverständlichkeit sprach die taz mit dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Amsterdam Walter Etty, Mitglied der sozialdemokratischen PvdA.

taz: Worauf führen Sie denn den parteiübergreifenden Konsens bei der Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts in den Niederlanden zurück? Es wurde ja auch von den Christdemokraten unterstützt.

Walter Etty: Faktisch hat schon 1973 ein christdemokratischer Staatsrechtler das Wahlrecht für AusländerInnen gefordert, weil es sich letztlich aus der UN -Menschenrechtsdeklaration ableitet. Denn ob jemand wählen darf, hängt nicht von seiner Staatsangehörigkeit ab, sondern ob er in dem entsprechenden Land lebt. So hat das bei uns begonnen. Im Parlament hat es über das Wahlrecht für AusländerInnen als solches keine Diskussionen gegeben. Man hat sich lediglich mit der technischen Umsetzung beschäftigt. Weil es damals nicht klar war, ob das Ausländerwahlrecht verfassungskonform ist, hat man eben die Verfassung geändert.

Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts hat jedenfalls nicht geklappt.

Noch hat es nicht geklappt. Aber ich denke, daß es kommen wird und kommen muß. Dafür gibt es bislang keine Mehrheit. In allen Parteien gibt es Einwände, wonach im Parlament des Landes eben über Fragen internationaler Politik beschlossen wird und folglich die Abgeordneten zu diesem Parlament nur von niederländischen Staatsbürgern gewählt werden dürften. Ich sehe das anders: Wer hier lebt, muß auch die entsprechenden politischen Rechte haben. Ich selbst bin in Amsterdam auch der zuständige Stadtrat für Finanzen und verfechte durchaus das Motto der Amerikaner aus dem 18. Jahrhundert: „No taxation without representation.“

Wie hat sich die Einführung des Wahlrechts für AusländerInnen in ihrer Wahlbeteiligung niedergeschlagen?

Die war nicht geringer als bei den Holländern. Auch die ausländischen Frauen haben von ihrem Wahlrecht im gleichen Maße Gebrauch gemacht wie die holländischen. Man muß dazu sagen, daß die politischen Parteien sich schon angestrengt haben, die Leute über ihr Wahlrecht aufzuklären und sie natürlich im Wahlkampf auch gezielt anzusprechen. Untersuchungen zu den Gemeindewahlen 1986 haben ergeben, daß die Großzahl der wahlberechtigten AusländerInnen sehr gut informiert war.

Was die Gruppe der MarokkanerInnen betrifft, so hat Ihnen allerdings der marokkanische König Hassan dazwischengefunkt mit einem Aufruf an seine Landsleute, nicht zu wählen...

Das stimmt, aber das wird er, glaube ich, nicht noch einmal machen. Es hat danach ein paar diplomatische Kontakte gegeben.

Hat sich das Wahlrecht für AusländerInnen bisher auf die politische Repräsentation von AusländerInnen zum Beispiel im Amsterdamer Stadtrat ausgewirkt?

Noch zu wenig. Im Amsterdamer Stadtrat sind von 45 Mitgliedern drei Surinamer. Die haben allerdings ohnehin die holländische Staatsangehörigkeit. In den Bezirksräten sitzen einige Türken und auch Marokkaner. Ganz klar, das passive Wahlrecht hat sich praktisch noch nicht ausgewirkt. Nun sitzen in den Stadt-und Gemeinderäten vor allem Leute mit relativ guter Schulbildung und höherem Einkommen. Türken, Marokkaner und auch Surinamer sind meistens Arbeiter.

Im Streit um das kommunale Ausländerwahlrecht in Berlin wird mehr oder weniger subtil an Überfremdungsängste der Deutschen appelliert. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Na sicher, 20 Prozent der Amsterdamer Bevölkerung sind Ausländer - in manchen Arbeitervierteln sind es bis zu 40 Prozent. Das gibt Probleme, wirkliche Probleme. Und wir haben auch so etwas wie die „Republikaner“. Die haben landesweit zwar nur zweieinhalb Prozent, aber in Großstädten vier Prozent, in manchen Vierteln bis zu acht Prozent. Und das sind die Viertel, wo unsere Wähler wohnen - holländische Arbeiter, die sich im Stich gelassen fühlen. Wir haben das Problem also auch. Allerdings stellt keine der politischen Parteien deswegen die Rechte der Ausländer zur Disposition. Da gibt es eine ethisch-moralische Pflicht der Parteien, auch laut zu sagen, daß das Wahlrecht fundamentaler Bestandteil jeder Demokratie ist. Da liegt wohl der große Unterschied zwischen der Situation in Holland und hier.

Zur Zeit überschattet die „deutsche Frage“ alle anderen Themen. Das kommunale Ausländerwahlrecht scheint keinen zu interessieren...

Also, wenn jetzt hier alle in der Erwartung freier Parteien und geheimer Wahlen in der DDR euphorisch werden, dann darf man auch im Westen keinen Zweifel daran lassen, daß das wirklich fundamentale Rechte eines jeden sind. Man kann doch nicht einfach zum Beispiel Türken, die schon über 20 Jahre hier leben, einfach hintanstellen - nach dem Motto: zuerst die Deutschen.

:Beneiden Sie eigentlich Ihre Kollegen im Berliner Senat um die neue Situation in der Stadt?

Ja, das ist doch unglaublich spannend. Man macht Geschichte hier. Wenn ich mir allein überlege, was hier an neuen Möglichkeiten für die Stadtplanung entsteht. Daß Berlin jetzt Mittelpunkt Europas werden kann, ist doch eine riesige Chance. Ich weiß nicht, ob Ihr Landesparlament diese Umstellung schon vollzogen hat. Also, wenn die Mauer erst mal weg ist, würde ich sofort einen internationalen Wettbewerb für Architekten und Stadtplaner ausschreiben, wie man diesen neuen Raum am besten nutzen kann. Stellen Sie sich doch mal dagegen unsere Situation vor - in unseren alten Städten, wo man nur in ganz kleinen Schrittchen etwas verändern kann.

Interview: Andrea Böhm