Martiny mixt Tourismus und Kultur

■ Rührende Vereinigung von Kultur- und Wirtschaftsverwaltung beim Programm „Berlin im Winter“, das gestern vorgestellt wurde / Ein Festival Neuer Musik und die Reihe „Schauplatz Museum“ sollen im Januar noch mehr Touristen herbeischaffen

Berlin müße, so verkündete SPD-Kultursenatorin Anke Martiny gestern, auf eine Verschmelzung von Tourismus und Kultur setzen. Deshalb hatte sie Peter Mitzscherling, ihren Kollegen aus der Wirtschaftsverwaltung, auch gleich mitgebracht zur Vorstellung der konzertierten Tourismusoffensive „Berlin im Winter“, das die Kulterverwaltung zusammen mit dem Verkehrsamt zu verantworten hat.

Im Mittelpunkt des Köderprogrammes stehen die Reihe „Schauplatz Museum“, die der Museumspädagogische Dienst vom 6. bis zum 21.Januar bereits im dritten Jahr veranstaltet, sowie „Inventionen '90“, das Festival Neuer Musik, das vom 20. Januar bis zum 10.Februar von der Akademie der Künste, dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD und der TU veranstaltet wird.

Im Unterschied zu den Feuerwerken und Sommernachtsträumen ihrer Vorgänger, betonte Martiny, würde man jetzt „konzeptioneller“ arbeiten (wenn man dieses Wort steigern kann). Zum einen wird deshalb zur Zeit auf Veranlassung der Kultursenatorin an einer systematischen Darstellung des Zusammenhangs von Wirtschaft und Kultur gearbeitet, die vor allem zeigen soll, welche Kulturzweige am besten touristisch ausschlachtbar sind, „so daß wir uns entsprechend verhalten können“.

Zum anderen müßten schon jetzt einerseits Berliner Künstlerinnen und Künstler eingespannt werden und schließlich die Angebote „unseres Hauptexportschlagers Kultur“ für Touristen nachvollziehbar gemacht werden.

Aber dafür ist ja das Verkehrsamt da, das in seiner Billigen-Jakob-Broschüre (wärmstens zu empfehlen: „Berlin im Winter“) etwa auch die wirklich spannenden „Schauplatz„ -Programme anzupreisen weiß - auf daß der Wirtschaftssenator auch im nächsten Jahr ähnliche Steigerungsraten wie dieses Jahr vermelden kann (10,3 Prozent mehr Touristen allein von Januar bis September - also ohne DDRler - und insgesamt werden es in diesem Jahr über 2 Millionen gewesen sein).

Im Rahmen der „Inventionen“ sind nicht nur jede Menge Konzerte, bei denen zahlreiche Ensembles an sechs verschiedenen Veranstaltungsorten Werke von Dutzenden von zeitgenössischen KomponistInnen spielen, geplant, sondern zu sehen sind auch zwei Ausstellungen sowie 16 Filme von Mauricio Kagel im Arsenal.

Der „Schauplatz Museum“ fährt unterdessen innerhalb von zwei Wochen 60 Veranstaltungen in verschiedenen Museen auf. Und zwar gibt's unter anderem im Bauhaus-Archiv sechs Kammerkonzerte, die dem 1902 in Berlin geborenen Komponisten und Avantgardisten Stefan Wolpe gewidmet sind. Andernorts finden Führungen und Lesungen mit und ohne Musik sowie Vorträge zu kulturgeschichtlichen Themen statt. So referiert zum Beispiel Bazon Brock im Bröhan Museum über „Mode zu Möbeln - Das schöne Sein im Art Deco“, während Karl Schlögel über „Kultur & Krach - zeitgemäße Betrachtungen“ feuilletonieren will.

Der Bochumer Scientertainer Friedrich Kittler spricht mal wieder über „Frauen an der Schreibmaschine 1880 bis 1930“ im Georg-Kolbe-Museum, und Klaus Theweleit liest dortselbst Veröffentlichtes und Unveröffentlichtes über Brecht, Benn und die Frauen unter dem Titel „Mediale Frauen - Männliche Liebes- und Arbeitsweisen“. Außerdem finden im Georg-Kolbe -Museum weitere Vorträge, Lesungen und Konzerte statt, die sich wie auch die dortige Ausstellung mit dem Titel „Auch Greta Garbo ist einmal Verkäuferin gewesen“ mit dem Kunstprodukt „Neue Frau“ in den zwanziger Jahren beschäftigen.

Im Botanischen Museum wiederum finden an drei Abenden kombinierte Wort-Musik-Veranstaltungen statt, und zwar zum Thema „Von Koka zu Koks - Zur Kulturgeschichte eines Rauschmittels“. Die Musik soll von Komponisten stammen, die selbst Kokainexperimente gemacht haben, und die Worte kommen von Walter H.Lack, der über den Weg des Kokains im Europa der Neuzeit sprechen will und darüber, was Freud, Benn oder Proust damit zu tun hatten.

Aber daß hier bloß kein falscher Zungenschlag aufkäme, alles sei mit den Senatsdienststellen abgesprochen.

grr