Die Korruption eint Ost und West

Beim DGB-Jugendkongreß in Berlin (West) diskutierten junge Gewerkschafter mit Gästen aus der DDR / Ilse Brusis sieht Probleme, wenn sich die Welt schneller ändert als die Weltbilder / 140 Delegierte in West-Berlin  ■  Von Gabriele Sterkel

Berlin (taz) - Die Bundesjugendkonferenz des DGB, die am Sonntag in Berlin begann, stand zunächst ganz im Zeichen des spektakulären Wandels in der DDR. „Wir sind ergriffen und begeistert von einer Bewegung, die die Geschichte der Revolutionen durch eine historisch einzigartige gewaltfreie Revolution ergänzt“, begann DGB-Bundesvorstandsmitglied Ilse Brusis ihre Eröffnungsrede vor den knapp 140 Delegierten.

Mit stürmischem Beifall wurde die Delegation der DDR -Gewerkschaft FDGB begrüßt. „Die eindrucksvollen Erfolge der Menschen in den Ländern Osteuropas und insbesondere in der DDR sind zugleich eine Herausforderung an unsere politischen Denkgewohnheiten. Wir sind in Gefahr, politische Chancen zu verpassen, wenn die Welt sich schneller ändert als unsere Weltbilder“.

Dieser Satz war von Ilse Brusis auch und vor allem an die Adresse der unverbesserlichen bundesdeutschen Freunde der alten DDR gerichtet, die - auf der Konferenz stark vertreten - manches einstecken mußten.

Das Programm der DGB-Jugendkonferenz war kurzfristig geändert worden: 200 junge GewerkschafterInnen aus der DDR wurden eingeladen und eine Podiumsdiskussion geplant. Die Gäste von FDGB, Neuem Forum und der „Initiative für unabhängige Gewerkschaften“ sollten zusammen mit drei jungen DGB-GewerkschafterInnen diskutieren. Doch bevor der Kongreß diese mit Spannung erwartete Diskussion beginnen konnte, mußte erst noch ein Antrag zur Geschäftsordnung abgeschmettert werden, der stur darauf abzielte, die eigenen Beratungen nicht zu unterbrechen und die DDR-Gäste warten zu lassen.

Trotz allem Bemühen der Moderation kam es dann aber doch nicht zu dem, was man einen lebhaften Gedankenaustausch zwischen Ost und West nennen könnte. Die Frage, was für positive Erfahrungen es denn mit den Gewerkschaften im Westen gäbe, machte DDR-Jugendvertreter Thomas von Thyssen schlicht sprachlos: „Kann ich nichts zu sagen.“

Gemeinsamkeiten in Ost und West wurden nur in Sachen Korruption ausgemacht: Nicht nur die hohen Funktionäre in der DDR hätten sich unstatthaft bereichert, auch hierzulande wurde und wird noch Skandalgeschichte geschrieben. Die Frage, ob Korruption wohl eine zwangsläufige Erscheinung in Großorganisationen sei, blieb offen.

Weite Teile der Diskussion führten die DDR-Gäste unter sich. Der FDGB-Funktionär vertrat die Auffassung, daß seine Gewerkschaft die Strukturen verändern, unabhängig von der SED werden und die Zusammenarbeit mit staatlichen Organen aufkündigen müsse. Irena Dreißiger vom Neuen Forum hatte noch keine konkreten Vorstellungen von zukünftigen Gewerkschaften in der DDR, ein einheitlicher Gewerkschaftsverband sei allerdings wichtig. Die „Initiative für unabhängige Gewerkschaften“ will zwar nicht die Gewerkschaftsbewegung spalten, aber der FDGB sei ein Bestandteil des Machtapparates, wurde kritisiert.

Gewerkschaften müßten basisdemokratisch funktionieren, die Interessenvertreter von den Arbeitern im Betrieb gewählt werden, sagte Uwe Bastian von der „Initiative“, Das gab's doch bisher auch!“ tönte es lautstark aus dem FDGB-Block im Publikum, „der Vertrauensmann wird doch von der Gruppe gewählt und von niemand anders!“

Die FDGB-Kollegen im Publikum meldeten sich im Lauf der Diskussion immer energischer zu Wort, entweder um die anderen beiden DDR-Gruppen als „Intellektuelle“ zu diffamieren oder um die Umarmung zu versuchen: „Wir wollen doch letztlich alle das Gleiche.“ Was völlig fehlte, war eine Diskussion über die Errungenschaften der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung: Mitbestimmung, Tarifautonomie und Streikrecht.