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„Kleines Zwei-Mächte-Abkommen“

■ Erstes offizielles Treffen der beiden Bürgermeister aus Ost- und West-Berlin, Krack und Momper, im 37. Stock des Hotels Stadt Berlin Philharmoniker gehen nach „drüben“ / Erneuerung des DDR-Bildungssystem unter Mithilfe des Westberliner Max-Planck-Institutes

Ganz entspannt im Hier und Jetzt, über den Dächern von Ost -Berlin: Zwei joviale Herren, der Ostberliner Oberbürgermeister Erhard Krack und der Regierende Bürgermeister von West-Berlin Walter Momper, feierten eine „Premiere“: „Wir haben uns erstmals selbständig getroffen“, erklärte Krack. Dieses erste offizielle Treffen sei natürlich statusrechtlich gar nicht möglich, bemerkte Momper gegenüber den verbissen nachfragenden Journalisten. Man habe eben „einen hohen Sprung gemacht.“ Es gelte zwar das Vier -Mächte-Abkommen, aber nun habe man eben auch „ein kleines Zwei-Mächte-Abkommen geschlossen.“

Allerdings war der Ort der historischen Stunde weniger offiziell: der kleinkariert verspiegelte Tinnef der Tanzbar im 37. Stock des Interhotels „Stadt Berlin“. Auch der Gegenbesuch von Krack in West-Berlin, womöglich schon vor Weihnachten, wird noch nicht im Rathaus Schöneberg stattfinden.

Beide Herren stellten eine kommunalpolitische Offensive mit deutschlandpolitischem Hintersinn vor. Man habe sich auf eine „sehr pragmatische Zusammenarbeit“ zur „Nutzung gegenseitiger Vorteile“ verständigt. Walter Momper meinte, man müsse sich nicht mehr abgrenzen, sondern sehen, „wie man gemeinsam mit der offenen Grenze fertig wird“. Die Kooperation der einzelnen Fachressorts soll zügig beginnen. Treffen zwischen Stadträten und Senatoren sind vereinbart. Zwei Beauftragte zur Koordinierung dieser sind ernannt: Dr.Schmal, der stellvertretende Oberbürgermeister von Ost -Berlin, und Dr.Schröder, Chef der Senatskanzlei.

Das alles soll Momper zufolge als „Vorgriff auf den gemeinsamen Regionalausschuß“ verstanden werden. Bei allem Pragmatismus waren die Hinweise auf die deutschlandpolitische Situation und die Krise der DDR unüberhörbar. Momper stellte die kommunalpolitische Offensive ausdrücklich unter Modrows Begriff der „Vertragsgemeinschaft“.

Walter Momper gab zu verstehen, daß die beschleunigte Zusammenarbeit auch den Sinn hat, die friedliche Revolution in der Deutschen Demokratischen Republik zu unterstützen. Auch Erhard Krack hofft, daß solche Initiativen den „begonnenen Prozeß unterstützen“ können, ein Prozeß, „der in Würde ablaufen soll“.

BVG-Angestellte

nach „drüben“ eingeladen

Die Themen der Kooperation betreffen den Tourismus, die Umweltgestaltung, die Verkehrsplanung, die Stadtentwicklung. Vorbereitet wird die Erschließung des Umlandes. Überlegungen werden angestellt, inwieweit die „Weiße Flotte“ Ost-Berlins für die Westberliner nutzbar gemacht werden, mithin auch durch Westberliner Gebiet fahren kann. Die Gespräche werden auch den Bootsverkehr einbeziehen. Es wird auch die Möglichkeit diskutiert, ob Westberliner nicht Liegeplätze im Osten erhalten können.

Die gegenseitige Verkehrsanbinding wird intensiviert, an gemeinsame Fahrscheinhefte ist sogar schon gedacht. In diesem Zusammenhang der Dank von Krack an die BVG für die „enorme Leistung in den letzten Wochen“. Im Januar 1990 werden die BVGler für ihren heldenhaften Dienst am Ost -Kunden in den Friedrichstadt-Palast eingeladen.

Die Berliner Philharmoniker werden möglicherweise ab Sommer 1990 in Ost-Berlin spielen, da die Philharmonie von Asbest befreit werden muß. Der Magistrat hat sich bereiterklärt, einen Ausweichraum zu suchen.

Am Rande erwähnte Krack ein Detail der Kooperationsliste, das unspektakulär klingt, aber im Grunde weit über Kommunalpolitik hinausgeht. Die Ostberliner wünschen eine Zusammenarbeit im Bereich von Schule und Erziehung. Die Westberliner hatten da nur Vorschläge auf der Ebene gemeinsamer Schulwanderungen auf der Liste. Die Ostberliner hingegen wollen Hilfe zur Abtragung der Erbschaft von der Ex -DDR-Bildungsministerin Margot Honecker. Das Max-Planck -Institut für Bildungsforschung und das Pädagogische Zentrum sollen mitarbeiten bei der Entwicklung eines „modernen Unterrichts“ und der Gestaltung von Lehrplänen.

Klaus Hartung

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