Standbild: Kosmische Abtreibungsgegner

■ Höchste Zeit für Utopien

(Höchste Zeit für Utopien, ZDF, 4.12., 22.10 Uhr) In Zeiten, wo das gestern noch für unmöglich gehaltene Morgen schon zu den Fakten der Vergangenheit zählt, ist es schwer, über Utopien zu reden, denn diese sind per defintionem ohne Ort und Zeit - die handgreifliche, die konkrete Utopie ist ein Paradox. Ein Paradox freilich, das sich immer wieder in die Realität einschleicht - und so kamen die Diskutanten im Atelier 4 natürlich nicht umhin, statt über eine ferne Zukunft über die aktuelle Gegenwart der DDR und Osteuropas zu reden. Für Robert Jungk könnte die November-Revolution 1989 endlich die Utopie einlösen, die schon 1789 intendiert war, Ervin Laszlo, Wissenschaftsphilosoph und „Club of Rome“ -Mitbegründer, sieht auf der Welt z.Zt. einen „großen evolutionären Vorgang“ am Werk, die Berliner Psychoanalytikerin Schweikal berichtete von Klienten, die nicht zur geöffneten Mauer gehen, weil sie die Freiheit nicht aushalten könnten - statt dessen träumen sie seit dem 9.November häufig von inneren Mauern und unüberwindbaren Hindernissen.

So richtig zusammen kam ein Gespräch in der Talkrunde, an der noch ein Städteplaner und ein Science-Fiction-Filmer teilnahmen, nicht, es ist einfach zuviel und vor allem zuviel Unübersehbares geschehen in den letzten Wochen, wer kriegt da noch die Kurve von der globalen Katastrophe des Planeten zur lokalen Perestroika in Düppiswalde? Und doch ist die Parole des neuen Zeitalters - „Global denken, lokal handeln!“ - wahrscheinlich nie so aktuell wie heute, auch wenn wir uns, ungeübt in dieser Gleichzeitigkeit, dabei noch verheddern wie die Teilnehmer an diesem Gespräch. Um dies zu vermeiden, hilft vielleicht nur ein Bewußtsein, wie es der spanisch-indische, katholisch-hinduistische Religionsphilosoph Raimundo Panikkar in der anschließenden Sendung darlegte: „Wir haben uns eine künstliche Welt gebaut und stellen fest - sie ist nicht lebbar. Das technologische Problem ist nicht technologisch zu lösen“, sondern nur, wenn wir unser drittes Organ, das neben dem ersten, den fünf Sinnen, und dem zweiten, der Vernunft, verstümmelt ist, wieder aktivieren, „um zu spüren, daß alles mit allem zusammenhängt.“ Zwei Ratschläge gab Panikkar auf die Frage, wie die auf den Abgrund zurasende Welt gerettet werden könne: Meditation, in deren Wortverwandschaft schon angelegt sei, was derzeit gebraucht würde, nämlich Medizin und Moderation, Gestaltung des Ganzen. Sein zweiter Rat: Aufhören, diese unlebbare, künstliche Welt weiter durch künstliche Energie aufrechtzuerhalten: „Wir vergreifen uns an der Materie, der Mutter, dem Schoß der Natur - die Spaltung des Atoms ist eine kosmische Abtreibung.“ Eine Zwangsabtreibung, Mutter Erde wurde (und wird) nicht gefragt...

mbr