Paragraphenreiter bestehen auf Abschiebung

Im hessischen Langen droht einer 17jährigen türkischen Schülerin die Ausweisung nach Anatolien / „Republikaner“ als Chef der Ausländerbehörde betrieb Verfahren / Solidaritätswelle für die junge Türkin / Petitionsausschuß soll jetzt Abschiebung verhindern  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Langen/Frankfurt (taz) - Die knapp 17jährige Nebahat Babayigit aus Langen wurde von der Polizei beim Kochen des Mittagessens überrascht. Die Beamten nahmen der Schülerin ihren türkischen Paß ab und brachten das Mädchen zur Ausländerbehörde nach Offenbach - zur Vorbereitung der Abschiebung nach Anatolien. Dies verhinderte dann Anfang November der Landrat des Kreises. Denn das hessische Oberverwaltungsgericht in Kassel, das über den „Fall Nebahat Babayigit“ in zweiter Instanz verhandelte, hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Entscheidung getroffen.

Am vergangenen Freitag haben die nordhessischen Verwaltungsrichter nun die minderjährige Türkin zur Abschiebung freigegeben. Das Oberverwaltungsgericht schloß sich der Argumentation des erstinstanzlich zuständigen Darmstädter Verwaltungsgerichts an: die Ausländerbehörde habe den Antrag der jungen Türkin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis „zurecht abgelehnt“, weil nach einem Erlaß des hessichen Innenministers Milde (CDU) vom 15. September 1989 nur der Ehegatte eines ausländischen Arbeitnehmers und seine unterhaltsberechtigten Kinder nachzugsberechtigt seien, sofern diese das 16. Lebensjahr nach nicht vollendet haben. Mit diesem Erlaß hatte die Union die großzügigeren Aufenthaltsregelungen der rot-grünen Vorgängerregierung aufgehoben.

Formalrechtlich erfüllt Nehabat Babayigit die neuen Bedingungen tatsächlich nicht: 1987 kam die Halbwaise in die Bundesrepublik und lebt seitdem bei ihrem Bruder und dessen Frau. Die in Ostanatolien verbliebene schwerkranke Mutter des Mädchens - sie leidet unter bilateraler Paralyse (beidseitige Lähmung) - hatte Nebahat nach dem Tod des Vaters zum Bruder in die Bundesrepublik geschickt, weil sie sich nicht mehr um die Tochter kümmern konnte. Der Bruder nahm Nebahat auf und stellte umgehend einen Antrag auf Erteilung der Vormundschaft über seine Schwester, dem auch stattgegeben wurde. Dennoch verweigerte die Offenbacher Ausländerbehörde Nebahat die Aufenthaltserlaubnis. Chef dieser Behörde war da noch der in Hessen berühmt-berüchtigte Haymo Hoch, Mitglied der rechtsradikalen „Republikaner“ (REP), der sich selbst eine „ausländerfeindlichen Grundeinstellung“ diagnostizierte. Im September hatten die Grünen im Landtag einen Antrag eingebracht, in dem der Innenminister aufgefordert wurde, den „Ausweisungsfanatiker“ Hoch umgehend zu versetzen. Die annähernd 30.000 ausländischen Mitbürger im Lankreis Offenbach müßten es als bewußte Demütigung und Provokation empfinden, wenn ausgerechnet ein „bewußter Ausländerfeind“ als Leiter der Ausländerbehörde, argumentierte seinerzeit der Abgeordnete von Plottnitz. Auch Landrat Keller klagte bei Innenminister Milde die Versetzung des Rechtsradikalen ein. Der christdemokratische Minister sperrte sich, doch vor Monatsfrist hatte Hoch selbst einen Versetzungsantrag eingereicht, dem stattgegeben wurde.

Das Schicksal der jungen Türkin hat in der Stadt, die nach dem Willen der inzwischen verbotenen rechtsradikalen Vereinigung „Nationale Sammlung“ (NS) die erste ausländerfreie Kommune der Republik werden sollte, für viel Aufsehen gesorgt. Die Eltern, LehrerInnen und MitschülerInnen aus Nebahats Reichwein-Schule setzten sich für das Mädchen ein und animierten SPD und Grüne im Haupt und Finanzausschuß des Stadtparlaments zu einer gemeinsamen Resolution. Ihr Tenor: „Menschlichkeit steht für uns vor formaljuristischen Erwägungen.“ Die christdemokratische Fraktion spielte allerdings nicht mit und verhinderte die Aufnahme des Antrags auf die Tagesordnung.

Der Schulelternbeirat, die Lehrer- und Schülerschaft der Reichwein-Schule, die ausländischen Vereinigungen in Langen, die Pfarrer: alle haben sich danach für den Verbleib von Nebahat in Langen ausgesprochen, um so ein „Zeichen der Menschlichkeit“ zu setzen, wie Nebahats Deutschlehrer Klaus -Peter Meeth erklärte. Das aber auch ein „politisches Zeichen“ gewesen sei. Denn die Versuche der FAP um Kühnen in Langen Fuß zu fassen, seien nämlich damals auch mit der sogenannten Langener Erklärung gekontert worden. In dieser Erklärung hatten die Stadtverordneten ihre Solidarität mit den ausländischen BürgerInnen bekundet und festgeschrieben, daß Langen eine „ausländerfreundliche Stadt“ sei und bleiben werde.

Die junge Türkin und ihre bundesdeutschen Freunde haben jetzt nur noch eine Hoffnung: Der Petitionsausschuß des hessichen Landtags soll sich des „Falles“ Nebahat Babayigit annehmen und „im Geiste der Humanität“ entscheiden. Bis zur Tagung des Ausschusses im Januar hat das Innenministerium die Ausweisung der Schülerin ausgesetzt. Nebahat selbst ist dennoch verzweifelt: „Ich fühle mich wohl in Langen und kann mir ein Leben in Ostanatolien, meiner eigentlichen Heimat, nicht mehr vorstellen.“