Weiche Welle soll AKW ans Netz spülen

■ In Mülheim-Kärlich begann gestern die Neuauflage des Erörterungstermins für die Neugenehmigung des umstrittenen Reaktors / Bürgerinitiativen kritisieren ein „unheilbar rechtswidriges Verfahren“

Mülheim-Kärlich (taz) - Zum Auftakt gab es deutsche Schlager, so gut wie keine Polizei und einen fast devoten Verhandlungsleiter. In der zweiten Runde der öffentlichen sogenannten Erörterung des Atomkraftwerkes Mülheim-Kärlich setzte das Mainzer Umweltministerium diesmal auf die weiche Welle statt auf den alten Konfrontationskurs, der den ersten Erörterungstermin im August unter skandalösen Bedingungen hatte platzen lassen. Diesmal durften sogar die Nicht -Einwender an der Veranstaltung in der Rheinlandhalle teilnehmen. Der neu eingesetzte Verhandlungsleiter Wolf räumte gleich zu Beginn der Erörterung „erhebliche Zweifel“ an der Verhältnismäßigkeit der martialischen Eingangskontrollen bei der ersten Verfahrensrunde ein.

Wolfs großzügigen Gestus sehen die Vertreter der 66.000 Einwender, die gegen die erste Teilgenehmigung des AKW Widersruch erhoben haben, als taktisches Manöver. Einwender -Rechtsanwalt Klöckner sagte, dem Mainzer Umweltministerium gehe es nur darum, das AKW „irgendwie in Betrieb zu kriegen“, notfalls auch mit Zugeständnissen an die Einwender. Rechtsanwalt Baumann sprach von einem „Wendehals -Manöver“. Aber immer noch würden den Einwendern notwendige AKW-Unterlagen vorenthalten, die sie für Gegengutachten bräuchten.

Die Rechtsbeistände der Kommunen im Umfeld des AKW und die BIs beantragten die Aussetzung und den Abbruch der Erörterung sowie die endgültige Stillegung des Reaktors. Der Antrag wurde abgelehnt.

Das AKW Mülheim-Kärlich war vergangenes Jahr vom Bundesverwaltungsgericht Berlin wegen schwerwiegender Mängel im Genehmigungsverfahren stillgelegt worden. Jetzt muß es vollständig neu genehmigt werden. Die Bürgerinitiativen sprachen gestern von einem „unheilbar rechtswidrigen Genehmigungsverfahren“. Vor allem wegen der stark erdbebengefährdeten Lage des AKW sei eine Neugenehmigung unverantwortlich. Zudem sei Mülheim-Kärlich einer der „am dichtest besiedelten Kraftwerk-Standorte der Welt“.

Andere Einwender zweifelten daran, ob das Ministerium der Erörterung überhaupt gewachsen sei. Ein von Umweltminister Beth (CDU) angefordertes Gutachten habe der eigenen Behörde eine chaotisches Desorganisation bescheinigt. Außerdem müsse die Arbeit des Untersuchungsausschusses abgewartet werden, der den Genehmigungsskandal aufklären soll.

Unterdessen ermittelt die Koblenzer Staatsanwaltschaft gegen den früheren Verhandlungsführer Wirtz wegen Körperverletzung. Wirtz hatte beim ersten Erörterungstermin einem Einwender einen Aktenordner über den Kopf geschlagen. Gleichfalls wird gegen einen Wachmann ermittelt, der den SPD -Bundestagsabgeordneten Pauli rüde vom Erörterungsgelände weggezerrt hatte. Auch wegen der Weitergabe von Einwender -Daten an den Energiekonzern RWE wird gegen das Umweltministerium ermittelt.

Krumenacker/Weidemann