„Gutdotierte, elitäre Staatslinke“

■ Betriebsgruppensprecher entrüstet über Landesparteitagsbeschluß

„Unbegreiflich.“ Rita Schimweg, seit zehn Jahren SPD -Mitglied, bei Klöckner beschäftigt und bis Montag abend SPD -Landesdelegierte hat zwei Tagen danach noch nicht verstanden, was die Genossen dort im Bürghaus Vahr veranstaltet haben. Viele Delegiertte hätten offensichtlich gar nicht genau gewußt, worum es bei der Stärkung der Betriebsgruppenarbeit gegangen sei. „Besonders die Genossin Ute Wedemeier“, kann Rita Schimweg nicht verstehen, wo doch deren Mann Arbeitssenator wäre.

Zur Erinnerung: In Bremen gibt es etwa 270 SPD -Betriebsgruppen mit etwa 5.000 SPD-Mitgliedern. Am Montag abend hatte der SPD-Landesparteitag eine Satzungsänderung abgelehnt, mit der ermöglicht werden sollte, daß diese Betriebsgruppen künftig 19 Vertreter als Landesdelegierte entsenden können. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wurde um sechs Stimmen verfehlt. „Gelinde gesagt eine Sauerei“, kommentierte gestern der SPD-Betriebsgruppenvorsitzende von 400 GenossInnen bei MBB, Siegfried Mikoteit, die Entscheidung. „Da haben die auf deutliche Weise gezeigt, daß sie die Arbeit innerhalb der Betriebsgruppen nicht anerkennen.“ Und: „Wir sind für die Partei nur gut um Wahlkämpfe zu organisieren.“ Seine Frage: „Hat die SPD überhaupt noch Kontakt zur ge

werkschaftlichen Bewegung?“

Werner Fahr ist SPD-Betriebsgruppenvorsitzender bei der Bremer Feuerwehr und außerdem dort Personalratsvorsitzender. Als „Schlag ins Gesicht“ hat er die Ablehnung der Satzungsänderung empfunden. Gestern morgen, nachdem die Medien berichtet hatten, sei ihm der „beißende Hohn und Spott“ der Kollegen entgegengeschlagen. „Ihr Sozis wollt die Partei der Arbeiter sein?“, sei er gefragt worden. „Man treibt die Arbeitnehmer noch mehr zu den rechten Kräften.“ Bei der Abstimmung am Montag abend hat er fünf Genossen aus seinem Neustädter Ortsverein beobachtet, wie sie gegen die Satzungsänderung stimmten. Vahr: „Ich will in diesen Ortsverein nicht mehr rein.“ Jetzt will er einen Antrag stellen, daß er in einem anderen Ortsverein mitarbeiten kann. Nach der Diskussion am Montag war er „drauf und dran das Parteibuch hinzuschmeißen.“ Aber: „Ich habe ja keine politische Alternative.“ Und zur Motivation der Neinsager hat er sich so seine Gedanken gemacht: „Die sogenannten Linken haben Angst, daß ihnen das Wasser abgegraben wird. Das halte ich für totalen Schwachsinn.“

Ähnlich denkt Edgar Behrens, Vorsitzender der 400 -GenosInnen starken Betriebsgruppe bei Daimler. „Mensch, schmeiß den Scheiß hin“, hat er sich zunächst

gedacht. Und: „Jetzt ist der Punkt erreicht, sich zu fragen, ob das noch Sinn macht.“ In seinem Ortsverein seien bei den Sitzungen in der Regel 20 GenossInnen. Seine Feststellung: „Die verstehen die Arbeitnehmer zum Teil überhaupt nicht mehr.“

Der Vorstand des Unterbezirks Bremer-Ost, aus dem die meisten Nein-Stimmen kamen, hat am Dienstag abend beschlossen, daß sie auf Unterbezirksebene die Arbeiterquote einführt. Wieviele Delegierte aus den Betriebsgruppen zu den 250 regulären UB-Delegierten dazukommen sollen, ist allerdings noch offen. Und möglicherweise wird sich auch der nächste SPD-Landesparteitag im Januar wieder mit dem Thema beschäftigen müssen. Die SPD-Landesvorsitzende Ilse Janz, die nach der Ablehnung des Vorstandsantrages kurz an Rücktritt dachte, will es von Gesprächen mit den NeinsagerInnen abhängig machen, ob der Landesvorstand einen erneuten Antrag einbringt.

Und auch die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) hat sich noch nicht mit der Niederlage abgefunden. Am Montag will sich der AfA-Vorstand mit der Abstimmungsniederlage befassen. Die Stimmung wird in einem ersten Protestbrief deutlich: Von gutdotierten Staatslinken aus dem öffentlichen Dienst und elitärer Ignoranz ist da die Rede.

hbk