Gebrauchsanleitung für ganz Berlin

Achsenbrüche und Reifenpannen durch Schlaglöcher (Ost) bei PKW (West) demnächst in verstärktem Maße möglich. Langsam fahren!

Aufenthalt in der DDR ist für Bundesbürger und Westberliner ab dem 1.1.1990 im Grunde für unbegrenzte Zeit erlaubt. Nur alle 30 Tage muß der Besuch unterbrochen werden. Dann muß man nach West-Berlin oder in die BRD zurück, kann aber, wenn man will, sofort wieder rüber. Eine polizeiliche Anmeldung ist demnächst ebenfalls nicht mehr erforderlich.

Autobahnen, Ost, sollen ausgebessert werden. Finanziert werden soll die Asphaltoffensive von der DDR, die das Geld aus dem neuen Devisenfond abzweigt. Die Transitstrecken sollen ebenfalls ausgebessert und erweitert werden.

Bautzen, Wallfahrtsort für Löwenthal-Anhänger. Entfernung: 170 Kilometer.

Begrüßungsgeld wird abgeschafft. Statt dessen dürfen DDR -Bürger 200 West-Mark pro Jahr zu einem besonders günstigen Kurs umtauschen, - die ersten 100 im Verhältnis 1:1, die zweiten 100 im Verhältnis 1:5. Getauscht werden kann sowohl Unter den Linden als auch in der Karl-Marx-Straße.

Bitterfeld, Hauptstandort der volkseigenen Chemieindustrie. Pilgerort für Umweltbewegte. Besuch allerdings nur mit Gasmaske und säureresistenten Schuhsohlen zu empfehlen. Entfernung: rund 120 Kilometer.

Checkpoint Charly bleibt im nächsten Jahr der einzige Übergang, der nicht von Westberlinern oder Bundesbürgern benutzt werden darf. Seine Benutzung bleibt weiterhin ausschließlich für AusländerInnen und Diplomaten vorbehalten.

Devisenfonds, für zwei Jahre befristet: Kanzleramtsminister Seiters und Regierungschef Modrow haben vorgestern vereinbart, daß DDR-Bürger pro Jahr 200 Mark aus dem befristeten Fonds eintauschen können (sh. auch Begrüßungsgeld). Die für den Umtausch erforderlichen DM -Beträge werden von beiden Seiten getragen. Dabei leistet die BRD einen Beitrag bis zur Höhe eines Betrages, der sich aus dem für die Zahlung des bisherigen Begrüßungsgeldes sowie weiteren 750 Millionen Mark ergibt. Die DDR trägt ebenfalls 750 Millionen Mark bei. Die Bereitstellung der Devisen soll im Verlauf des Jahres nach Bedarf und entsprechend dem Anteil beider Seiten erfolgen. Die Einzelheiten werden in einer Vereinbarung zwischen der Deutschen Bank und der Staatsbank der DDR geregelt.

Dresden, Zwinger&Stollen-Stadt. Entfernung: 185 Kilometer.

Einreiseverbote sind weitestgehend aufgehoben. Auch ehemalige DDR-Bürger, die früher nicht mal den Transit benutzen durften, können wieder rein.

Eisenbahnschnellverbindung, die, zwischen Hannover und Berlin, soll so schnell wie möglich fertiggestellt werden.

Eisenach, luthermäßig, ebenso wie Wittenberg. Entfernung: 300 Kilometer.

Erzgebirge pädagogisch wertvolles Holzspielzeug (Achtung, Reisende: Nicht necken, Rübezahl lauert! d. säzzer). Entfernung: 300 Kilometer.

Fahrradfahren im Transit. Bisher nicht erlaubt und auch im Transitabkommen nicht enthalten. Man kann aber „Einreisen“ und die DDR so durchqueren. Fahrradwege gibt's allerdings so gut wie nicht.

Harz, Brocken, Waldsterben, Uranbergwerk. Entfernung nach Wernigerode: 180 Kilometer.

Historisch gesehen gab es den Zwangsumtausch für West -Besucher seit ziemlich genau einem Vierteljahrhundert. Ende November 1964 wurde er erstmals in einer Höhe von fünf Mark pro Tag im Kurs von 1:1 eingeführt. Für Berliner gab es lange gar keine Möglichkeit, überhaupt Zwangsumtausch zu bezahlen, durften sie doch länger als Bundesbürger gar nicht nach Osten reisen. Schon 1952 verbot die SED Westberlinern den „Verkehr und Aufenthalt“ in der DDR. Seit dem August 1961 war auch der Zutritt nach Ost-Berlin unmöglich, und zwischen 1963 und '66 wurde die Mauer jeweils nur für ein paar Tage in den sogenannten „Passierscheinaktionen“ geöffnet. Bundesbürger erhielten dagegen jederzeit „Tagesaufenthaltsgenehmigungen“. Für Westberliner wurden Reisen in und durch die DDR erst nach dem Viermächteabkommen in gesonderten Reisebestimmungen geregelt. Sie durften danach bis zu 30 Tage im Jahr nach Ost-Berlin und in die DDR reisen. Der Zwangsumtausch wurde für dieses Zugeständnis auf 13 Mark erhöht. 1980 stieg er zu angespannten deutsch -deutschen Zeiten auf 25 Mark, danach war ein drastischer Rückgang von Reisenden zu verzeichnen. 1984 wurde er für Rentner auf 15 Mark gesenkt, umstritten war diese Regelung bei Frührentnern.

Leipzig, Allerlei und Auerbachskeller (Souterrain aus Goethens Faust). Entfernung: 160 Kilometer.

Lumpi, siehe W wie Waldi.

Müggelsee, der, in Berlin-Rahnsdorf. Neben dem Wannsee das größte Berliner Freibad mit Bootsverleih. Letzten Sommer hatte der Rias dort per Transistorradios noch die größte Einschaltquote, was sich im nächsten Jahr vermutlich zugunsten von Radio 100 verändern wird, wenn Kreuzberg an den Strand marschiert.

Mitbürger, ausländische, müssen auch demnächst noch Eintritt bezahlen, wenn sie an den Müggelsee wollen. Dagegen hat bereits die Türkische Gemeinde Protest angekündigt. Es sei ihm unverständlich, wie die DDR-Führung dazu käme, AusländerInnen von der neuen Regelung auszunehmen, erklärte Cafer Öztürk, Sozialberater der Türkischen Gemeinde. „Dabei hat gerade die DDR die Bundesrepublik wegen ihrer Ausländerpolitik immer wieder kritisiert.“ Man erwarte nun auch von Bürgermeister Walter Momper, daß er sich für die Gleichstellung der ausländischen MitbürgerInnen in Sachen Zwangsumtausch einsetze.

Ostsee, die, rund zwei Autostunden von Berlin entfernt, wird im kommenden Frühling und Sommer vermutlich das Mekka der „Ickes“. Badeorte in Ostfriesland und in Schleswig-Holstein müssen mit empfindlichen Umsatzrückgängen rechnen. Besonders beliebt: Warnemünde, das klassische Seebad, und Rügen, Motivsteinbruch von Caspar David F. und Sprungbrett nach Dänemark. Baden allerdings nur in chlorierten Hallenbädern zu empfehlen. Entfernung: Warnemünde 160, Rügen: 220 Kilometer.

Potsdam, Berliner Vorort mit Schloß. Entfernung: quasi Stadtrundfahrt, hinter der Glienicker Brücke links 30 Kilometer.

PsychologInnen, nicht faul und neue Therapiemärkte witternd, haben auf die veränderte Situation schon reagiert. So wird bereits am 9. und 10.Dezember ein Seminar über Ost-West -Beziehungskisten angeboten. Die systemübergreifenden Liebschaften haben ja seit der völligen Grenzöffnung schwere Prüfungen durchzustehen. Keine Ausrede mehr für nicht eingehaltene Verabredungen („Die Grenzer haben mich nicht reingelassen, schluchz!“). Statt Kurzbeisammensein nun Dauerstreß. Das Seminar beginnt am Samstag ab 10 Uhr im Zeitraum-Studio, Mehringdamm 61, 180 Mark (für Ostler 50), Anmeldung unter Tel. 611 94 50.

Spreewald, volle Kanalromantik, Entfernung: 50 bis 80 Kilometer.

Staaken, Grenzübergang in Spandau, wird als dritter Übergang wieder geöffnet. Zusätzlich werden die Fernstraßen 1, 2, 5 und 7 und der westliche Teil des Berliner Ringes für den Transitverkehr freigegeben. Beispiel: Wer nach Hamburg will, kann über Dreilinden ausreisen, dann über den Berliner Ring zur Transitstrecke Richtung Hamburg fahren und umgekehrt. Macht das ganze nicht den zusätzlichen Transitübergang am Schichauweg überflüssig? Nein, meint die Senatsbundesverwaltung, weil im Süden der Stadt nun mal ein Übergang fehle und der Verkehr steigen werde.

Tempolimit in der DDR seit 40 Jahren. Die Westberliner BI Tempolimit hat aber schon angeboten, der Widerstandsbewegung in der Zone gegen Tempo 100 und Tempo 30 Entwicklungshilfe zu leisten. BI-Chef Seidel vermutet in der DDR sogar ein noch größeres Potential von „aufgeschlossenen“ Spoilergeilen und freut sich schon auf die Zusammenarbeit. Für die wiedervereinigte Stadt Berlin schlägt Seidel vor, die Schönhauser Allee als Nord-Süd-Autobahn mit „vier bis sechs Spuren“ auszubauen. Seidel zur taz: „Die Häuser an der Straße sind sowieso kaputt. Und die Hochbahn müßte dann auch weichen!“

Thüringer Wald, Gläser blasen. Entfernung: 260 Kilometer.

Transitstrecken haben sogenannte Abzweige, die links und rechts in die DDR führen. Bisher war ein Abstecher in die an der Asphaltpiste liegenden Dörfer und Städte nicht erlaubt. Nun kann, wer will, auf dem Weg nach Helmstedt einen Abstecher nach Magdeburg machen, doch dann muß er sich schon am Westberliner Übergang in die Schlange für „DDR-Einreise“ anstellen. Wer nur durchrauschen will, benutzt die Transitschlange, in der es vermutlich schneller gehen wird. Die Senatsbundesverwaltung in Bonn geht deshalb davon aus, daß die Korridore, in denen man nicht nach links oder rechts guckt, sondern nur stur geradeaus fährt, ihre Bedeutung behalten werden. Ab dem 1.Januar wird die Transitbenutzung trotzdem leichter. An den vier Übergängen vom Bundesgebiet nach Berlin werden künftig Entlastungsstrecken angeboten.

U-Bahn-Höfe, stillgelegte, bleiben vorerst auch weiter stillgelegt. Auch wenn Horst Wagner, Verkehrssenator, anderes erreichen will.

Waldi, der, muß auch in Zukunft draußen bleiben, wenn er ein Gebrechen hat. Für Hunde und ihre BesitzerInnen stehen nach wie vor nur zwei Grenzübergänge zur Verfügung. Offenbar wollen die Kommunisten das Hunde-Scheiß-Problem in Ost -Berlin nicht weiter verstärken. In Ost-Berlin findet sich bereits die größte Hunde-Konzentration in ganz Europa.

Weimar, Goethe, Schiller etc. Entfernung: 230 Kilometer.

Weiße Flotte, die, Ostberliner Dampfschiffe, die am Treptower Park in die Kanäle und die Spree stechen, werden demnächst auch auf Westberliner Gewässern entlangkreuzen. Schließlich hat Berlin auch mehr Brücken als Venedig! (Duisburg vielleicht aber auch.) Wessis dürfen ab dem 1. Januar ebenfalls alle 22 Übergänge nach Ost-Berlin mitbenutzen und sind damit den Westberlinern gleichgestellt.

Zollbeschränkungen für die Einfuhren in die DDR werden aufgehoben. Videorecorder und -kassetten, Farbfernseher und Kopiergeräte, ob gebraucht oder neu, dürfen mitgenommen werden. Tiere bleiben von der Einfuhr ausgenommen. Für Autos bleiben die Zollgebühren bestehen. Die Kraftfahrzeuge dürfen aber nicht älter als vier Jahre sein.