piwik no script img

Links neben dem Fernsehen

■ In Kassel sind unabhängige Videoproduktionen aus der DDR zu sehen

Der Kasseler Filmladen veranstaltet vom 7. bis zum 12. Dezember ein Dokumentarfilmfestival. Erstmals gibt es dieses Jahr auch ein Videoprogramm, das unser Autor zusammengestellt hat. Auf seiner Suche nach aktuellen, frei produzierten Videos in der DDR entstanden die folgenden Eindrücke über die dort entstehende unabhängige Video-Szene. Alle erwähnten Produktionen sind in den kommenden Tagen im Kasseler Video-Cafe vis a vis zu sehen.

Die Redaktion

Die elektronischen Bilder ändern sich. Nach der plötzlichen Wende im Osten droht unseren alteingesessenen Fernsehanstalten mit den reformierten DDR-Programmen nun ernstzunehmende journalistische Konkurrenz. Was aber tut sich in der deutsch-deutschen Medienlandschaft links neben dem Fernsehen?

Gegenüber der bundesdeutschen Videoszene mit eigenen Produktions-, Verleih- und Abspielstrukturen, die vor etwa zehn Jahren entstand, steckt die Videobewegung in der DDR noch in den Kinderschuhen. Zwar gibt es auch dort unabhängige Gruppen und einzelne, bisher fast ausschließlich Männer, die mit Video arbeiten, aber noch fehlen die technische Infrastruktur und der personelle Zusammenhang. Geräte sind Mangelware

Videogeräte sind, von einigen wenigen überteuerten Vhs -Videorecordern einmal abgesehen, nur gegen Westgeld im Intershop oder über Westkontakte zu beziehen. Durch diese Hürde wurde bis vor einigen Jahren verhindert, daß Videokameras in die Hände von Amateuren gelangten. Zudem mußten Besitzer eigener Kameras anfangs in der Öffentlichkeit mit staatlichen Kontrollen rechnen. Die Ausrüstung wurde ihnen weggenommen, wenn sie ihren rechtmäßigen Erwerb nicht durch Quittung oder Einfuhrgenehmigung belegen konnten.

Trotz solcher Einschüchterungsversuche kamen nach und nach Kontakte zwischen Videoamateuren und Künstlerkreisen zustande. Zuerst wurden Theaterstücke später auch Performances und Musikveranstaltungen aufgezeichnet. Heute ist die Videokamera auch in der DDR, zumindest in Ost -Berlin, selbstverständlicher Begleiter vieler Kunst- und Musikveranstaltungen. Anders als in der BRD fehlt aber so gut wie immer die Möglichkeit, aus dem umbearbeiteten Videomaterial eigenständige Dokumentationen oder Kunstprodukte herzustellen. Schnittplätze sind in der DDR Mangelware und freie freie ProduzentInnen kaum zugänglich.

Der Leitsatz der westdeutschen Videobewegung, Gegenöffentlichkeit herzustellen, war bisher in der DDR kaum realisierbar. Eine Ausnahme sind die heimlich produzierten Videos der Grünen Netzwerks ARCHE, einem Zusammenschluß von Umweltgruppen aus dem Umfeld der Evangelischen Kirchen der DDR. Bitteres aus Bitterfeld (1988) belegt mit beängstigenden Bildern, welch kastastrophale Umweltschäden die chemische Industrie im Bezirk Halle angerichtet hat. Über allen Wipfeln ist Ruh: Waldlos auf 2000 zu? (1989) zeigt das erschreckende Waldsterben im Osterzgebirge.

Das einzige tolerierte nichtstaatliche Videostudio der DDR konnten sich Thomas Grimm und Bernd Espig mit Unterstützung der BRD Videoszene aufbauen. Der Dokumentarfilmer Grimm wechselte vor zweieinhalb Jahren zur Videotechnik, um frei produzieren zu können. Mit seiner semi-professionellen Ausrüstung hat er seitdem in Zusammenarbeit mit Martin Hübner zwei Dokumentarvideos über einen Ostberliner Jugendclub gedreht. Free Ost (1987/88) war auch in der BRD schon mehrfach zu sehen. Off Ground (1989) wurde Ende November in der Videowerkstatt der Leipziger Dokumentar - und Kurzfilmwoche gezeigt. Die Videomacher bemühen sich derzeit um die Erlaubnis der Einrichtung einer Werkstatt für Biographien von Zeitzeugen. Durch Interviews mit WissenschaftlerInnen und KulturfunktionärInnen wollen sie Ansichten und Analysen zur Realität ihres Landes dokumentieren. Von der offiziellen Anerkennung als unabhängige Videoproduktion erhoffen sie sich auch den Ausweg aus ihrer finanziellen Dauerkrise. Denn diese Statusänderung würde ihnen erlauben, staatlichen Auftraggebern nicht nur wie bisher ihre künstlerische Leistung (Buch/Regie), sondern auch ihre technische Bearbeitung (Aufnahme/Schnitt) in Rechnung zu stellen.

Hierzulande stehen VideoamateurInnen, die keine eigenen Geräte besitzen, verschiedene Einrichtungen, an Universitäten, in Jugend- und Kommunikationszentren und die Offenen Kanäle zur Verfügung. In der DDR ist es wesentlich schwieriger, institutionellen Besitz individuell zu nutzen.

Thomas Heise beobachtete den DDR-Dramatiker Heiner Müller bei der Inszenierung seines Theaterstückes Der Lohndrücker (1987/88) mit der Videokamera. Obwohl Heise Meisterschüler der Akademie der Künste ist, wurden ihm im akademieeigenen Videostudio nur vier einzelne Schnittage gewährt. Anstatt einer geplanten Trilogie entstand unter diesen Bedingungen bisher nur das Video Heiner Müller (Teil 1), ein recht privates Porträt, in dessen Mittelpunkt ein Gespräch über den 17. Juni 1953 steht. Es macht die historischen und politischen Hintergründe von Müllers Arbeit deutlich. So wird es selbst zu einem seltenen Stück DDR -Gegengeschichtsschreibung.

Im Dezember 1988 war die BRD-Experimentalrockband Cassiber für Studioaufnahmen zu Gast in der Akademie der Künste. Diese konnten vier Videoamateure mit der hauseigenen Technik dokumentieren. Ihr nach der Band benanntes Video besteht aus unkommentierten Sequenzen, die die Musiker bei der Arbeit zeigen und historischem Filmmaterial, das sie assoziativ zu gesellschaftspolitischen Themen wie Kunst und Arbeit zusammengestellt haben. Obwohl das Projekt gelungen ist, gibt es bisher keine Anzeichen dafür, daß dei Nutzung der Geräte staatlicher Institutionen durch freie VideomacherInnen zur Regel werden könnte. Super 8 statt Video

Dies ist einer der Gründe, weshalb nicht Video, sondern Super 8 seit langem das Medium der Szene ist. Kameras, Filme und Zubehör sind in Ostmark zu erwerben. Der Filmschnitt ist auch ohne aufwendige Technik zu bewältigen. Aber mit Super 8 ist es so gut wie unmöglich, synchrone Ton-Bild -Aufzeichnungen zu machen, weshalb das Medium kaum zur politisch-dokumentarischen Arbeit verwendet wird. So erklärt sich die relativ große staatliche Toleranz gegenüber der Super-8-Szene. Super 8 und Video verwandten Heinrich Sabl und Torsten Ratheischak in ihrem Musikclip für die gleichnamige Rockband Herbst in Peking, die sich nach ihrem öffentlichen Solidaritätsbekenntnis zur chinesischen Demokratiebewegung im Juni 1989 auflösen mußte. Der akute Schnittplatzmangel inspirierte sie zu ungewöhnlichen Methoden. Durch das Abfilmen von Super-8 -Mehrfachprojektionen erzielen sie Überblendungseffekte in der Videokamera. Ihr vollständig in der Kamera geschnittener Clip kann sich im Ergebnis, was Schnittfrequenz und visuelle Verfremdung betrifft, durchaus mit mancher HighTech -Produktion messen.

Von der Öffnung der Grenzen erhofft sich Sabl, daß mehr Videogeräte in die DDR gelangen. Gleichzeitig befürchtet er, daß deren privater Verleih künftig nur noch in Westmark abgewickelt wird.

Eine neue Möglichkeit kostenloser Produktion bietet sich den Ostberliner VideomacherInnen in Westberlin. Der Offene Kanal, die von ihrem Nutzungskonzept her demokratischste Medieneinrichtung der Stadt, vergibt nach dem Prinzip der Schlange Videogeräte, Schnitt- und Sendeplätze (im Kabel) auch an DDR-BürgerInnen.

Auch ein kritisches Fernsehen macht eine eigenständige Videoszene in der DDR nicht überflüssig. Die Stärke der VideomacherInnen liegt gerade in ihrem nicht-professionellen subjektiven Blick. Zumeist setzen sie sich mit ihren frei gewählten Themen intensiver persönlich auseinander als es den FernsehjournalistInnen unter professionellen Produktionsbedingungen gelingen kann.

Wenn es heute in der DDR um die Aneignung des Staates durch die BürgerInnen geht, dann geht es auch um die Aneignung der Schnittplätze durch die VideoamateurInnen.

Christian Hoffmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen