Diplomatische Sensation für Dalai Lama

Geistiges Oberhaupt der Tibeter in Ost- und West-Berlin empfangen / Druck auf BundespolitikerInnen  ■  Aus Berlin Jürgen Kremb

„Ich habe zwar keine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit, doch erscheint es, daß ich den Tag abgewartet habe, um nach Berlin zu kommen, wenn die Mauer bröckelt.“ Für den 14. Dalai Lama, der am Dienstag abend in Berlin zumindest in den Augen seiner Anhänger fast schon ein Understatement ablieferte, war nämlich der eigene Besuch in Berlin schon außergewöhnlich genug. Bei seinem gegenwärtigen Besuch in Berlin wurde das geistliche Oberhaupt der Tibeter von Politikern aus dem Westteil der Stadt zwar nur in Hotelzimmern empfangen. Doch die Ostberliner Führung stimmte zumindest zu, daß der Träger des diesjährigen Friedensnobelpreises von den dortigen Oppositionsgruppen begrüßt wurde.

Dabei hatte der Besuch des 1959 von der chinesischen Volksbefreiungsarmee aus seiner Heimat vertriebenen Exilführers ganz danach ausgesehen, als würde er die übliche politische Normalität nicht verlassen. Wie aus Kreisen des Abgeordnetenhauses zu erfahren war, mußte das Programm des 54jährigen auf Druck des Bonner Auswärtigen Amtes ein gutes dutzendmal verändert werden.

„Es ist schon eine ungeheure Verlogenheit, mit der in Bonn auf die Einhaltung der Menschenrechte in Osteuropa bestanden wird,“ raunte ein offzieller Begleiter des Dalai Lama bei dessen Besuch am Dienstag abend in der taz. „Aber der Völkermord auf dem Dach der Welt wird einfach auf Intervention der chinesischen Botschaft in Bonn beiseitegeschoben.“ Und die diplomatische Vertretung Chinas hatte beträchtlich protestiert. Nicht nur sprach die Mission dem geistlichen Führer der sechs Millionen Tibeter das Recht ab, für die Einhaltung der Menschenrechte in seiner Heimat zu sprechen. Auch der Druck auf Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth war offenbar erfolgreich. Denn sie hielt es vor dem Besuch des Dalai Lama in Berlin und heute in Bonn für notwendig, Petra Kelly (MdB, Die Grünen) aufzutragen, daß der Friedensnobelpreisträger sich jeder politischen Äußerung zu enthalten habe.

Da stand das Treffen mit den DDR-Oppositionellen Ulrike Poppe, Bärbel Bohley und Marianne Birtler im Dietrich -Bonhöffer-Haus unter einem günstigeren Stern. Noch vor wenigen Tagen wäre es gar nicht denkbar gewesen, daß der Vertreter der „Seperatistenorganisation“, so die Sprachregelung der volkschinesischen Behörden, überhaupt den Checkpoint Charlie überquert hätte. Nun begrüßte er die „friedliche Revolution“ in der DDR. Dies scheint auch seiner Lebensphilosophie gar nicht so fremd zu sein. „Was ist der Sinn des Lebens?“ hatte der 14. Dalai Lama vor versammelter taz-Belegschaft am Dienstag abend in die Runde gefragt und sich selbst geantwortet: „Was zu tun, was zu verändern, aktiv zu sein.“