Waldorfschulen geht's an den Kragen

Neues Privatschulgesetz in Baden-Württemberg benachteiligt die antroposophischen Schulen bei der staatlichen Förderung / Kultusminister Mayer-Vorfelder im Mittelpunkt der Kritik  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

„Werte Abgeordnete, geben Sie sich Gedankenfreiheit!“ Mit dem Zitat seines „Klassikerkumpans“ Schiller endet ein Brief des Schriftstellers Martin Walser, adressiert an die CDU -Fraktion im baden-württembergischen Landtag. Der Anlaß für Walsers außergewöhnliche „vorweihnachtliche Grüße“: Baden -Württemberg will das Privatschulgesetz ändern und die Finanzierung des privaten Schulwesens neu regeln. An den Kragen geht es dabei den Waldorfschulen im Land, wie nicht nur Walser befürchtet.

Der Gesetzentwurf hat nicht nur wieder einmal alle Oppositionsparteien gegen die Landesregierung aufgebracht, sondern vor allem auch PädagogInnen, Eltern und FreundInnen Freier Waldorfschulen. Sie sind empört über die „Abkopplung und Sonderbehandlung“ der Waldorfschulen von anderen privaten, meist konfessionellen Schulen und befürchten zukünftig unüberwindliche Finanzhürden. „Uns soll der Strick um den Hals enger gezogen werden“, erklärt Monika Schopf, Mitarbeiterin beim Bund Freier Waldorfschulen.

Die Gesetzesnovelle sieht vor, die Zuschüsse für Privatschulen 1990 um 19 Millionen Mark zu erhöhen. Bereits 1988 war dafür die Rekordsumme von 480 Millionen ausgegeben worden. Auch die Waldorfschulen sollen mehr Geld erhalten. Doch die ganze Geschichte hat einen Pferdefuß: In etwa fünf Jahren werden die 33 Waldorfschulen, mit derzeit 15.700 SchülerInnen im Land, jedoch mit bis zu 20 Millionen weniger an jährlichen Zuschüssen rechnen müssen. Dann nämlich soll die Förderung der Grundstufen eingefroren und bei den Aufbaustufen differenziert werden. Schulbauten sollen dann überhaupt nicht mehr finanziert werden.

Im Mittelpunkt der heftigen Kritik steht einer, der sich seit Jahren anschickt, das Rad der Geschichte in der Schulpolitik zurückzudrehen: Kultusminister Gerhard Mayer -Vorfelder. Dieser betont zwar ständig, es sei nicht sein Gesetz, sondern das der Landesregierung 'und er habe nichts gegen die Waldorfschulen, aber letztere dürften ihm doch suspekt sein. Lockerer Unterricht, kein Sitzenbleiben, keine richtigen Noten und zuviel Kreativität müssen ja geradezu ein rotes Tuch für den Bildungspolitiker sein, der auf stramme Disziplin setzt und SchülerInnen am liebsten wieder morgens beten und die Nationalhymne singen ließe. Und wie ist es anders zu erklären, daß in dem Entwurf die Waldorfschulen etwa 30 mal erwähnt werden, andere Privatschulen jedoch nicht? Also doch ein „Anti-Waldorf -Gesetz“, wie auch Walser in seinem Brief schreibt?

Doch von solchen Vorwürfen will der Minister nichts hören. Mayer-Vorfelder parierte erbost im Landtag, er fühle sich „persönlich diffamiert“. Das Land erfülle nur seine Pflicht. Denn gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1987 müsse das baden-württembergische Privatschulgesetz in Sachen Privatschulfinanzierung novelliert werden. Dem Karlsruher Urteil zufolge müssen die Länder das private Schulwesen fördern und in ihrem Bestand schützen, haben aber bei der Gestaltung weitgehende Freiheiten.

Bei der Finanzierung der Privatschulen aber scheint die Crux zu liegen: nach Auffassung der Landesregierung muß sich die staatliche Finanzhilfe für Privatschulen an den Kosten vergleichbarer öffentlicher Schulen orientieren. Das neue Gesetz sieht nun vor, die Zuschüsse für private Gymnasien um neun Prozent anzuheben; Waldorfschulen sollen jedoch nur die Hälfte mehr bekommen. Begründung von Mayer-Vorfelder: Waldorfschulen seien nicht mit Gymnasien vergleichbar und hätten als „einheitliche“ Schulen geringere Kosten; zudem mache nur ein Viertel der WaldorfschülerInnen dort Abitur. Der Bund Freier Waldorfschulen in Baden-Württemberg hält diese Argumentation für falsch. Oberstes Anliegen der Waldorf-Pädagogik sei die Förderung der SchülerInnen in einheitlichen Volks- und höheren Schulen, und nicht die Vermittlung von Bildungsabschlüssen. Außerdem, so der Verband, würden 62 Prozent der WaldorfschülerInnen einen Fachhoch- oder Hochschulabschluß machen. Kritisiert wird darüber hinaus, daß neugegründete Privatschulen erst nach drei Jahren gefördert werden sollen. Der Kultusminister begründete diesen Schritt damit, man wolle gegen unseriöse Schulgeschäfte angehen. Im Kreis der Waldorf-AnhängerInnen wird dies freilich anders gesehen: Die Gründung neuer Waldorfschulen soll unterbunden werden. Einige Stimmen argwöhnen sogar, daß die ganze Antroposophie besonders den katholischen Kreisen der CDU seit langem ein Dorn im Auge sei.

Die AnhängerInnen der Waldorf-Pädagogik wollen nun gegen den „Angriff auf den Pluralismus im Bildungswesen“ und für den Erhalt der „Waldorf-Demokratie“ (Walser) kämpfen. Bereits bei der ersten Lesung der Novelle im Landtag hatten draußen Hunderte von WaldorfschülerInnen demonstriert. Eine weitere große Demonstration mit Eltern und FreundInnenn soll noch folgen, bevor das Gesetz Mitte Dezember in die zweite Lesung geht.