Drinnen und draußen - Ein Kampf

■ Die Geburt der Steintorkurve aus dem Kinosessel / Als Schönwetter-Fußball-Fan in der Schauburg

Wer seinerzeit den Hals reckend und von einem Bein auf das andere tretend den unsäglichen Elfmeter Michael Kutzops auf der Leinwand am Domshof miterleben mußte, hat es am eigenen Leibe erfahren. Werder ist selbst außerhalb des Weserstadions eine attraktive Angelegenheit. Auch beim neuerlichen Jahrhundertspiel des grün-weißen Kickerkombinats gegen die argentinisch-brasilianisch-italienische Millionenformation aus Napoli gab es ein Off-Stadionangebot. In der rappelvollen Schauburg wa hierhin da

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Fuß/baller

Ball oder Bein, das ist hier die Frage.

ren rund fünfhundert Menschen zusammengekommen, um wind-und regengeschützt ihre Verzehrbons zu vertrinken. Die Vorteile lagen klar in der Hand. Zum einen war der Weg zur Theke mit wenigen Mühen verbunden und ein Abstecher zur Toilette kostete nicht den Verlust begnadeter Tacklings und wichtiger Tore.

Daß die erwartungsvolle Schar auch im Kino mit dem nötigen Ernst bei der Sache war, bewiesen die Jubelkundgebungen, als auf der Leinwand ins Stadion umgeschaltet wurde. Die achthundert Meter Luftlinie zum realen Spielgeschehen schienen aufgehoben, die Medienrealität ist halt auch Foto: Jörg Oberheid

Eine Realität. Ein weiter Paß auf Karl-Heinz Riedle und schon sprangen die ersten von ihren Sitzen. „Kalle„-Rufe schallten durch den Saal. So war es dem Medium Fernsehen selbst vorbehalten, die BilderkonsumentInnen kurzfristig auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Ein Aufnahmeteam von Radio Bremen wollte es sich nicht nehmen lassen, das kollektive Anfeuern überlebensgroßer Fußballheroen zu reportieren. Doch da hatten die Fernsehleute die Rechnung ohne ihre Zwangskomparsen gemacht. Die wollten sich nicht vom gleißenden Scheinwerfer-Licht blenden lassen. Gellende Pfiffe und

Drohungen, die hochsensible Gerätschaft der dauerhaften Unbrauchbarkeit nahezubringen, veranlaßten die Aufdringlinge, ihr Vorhaben bald aufzugeben.

Beim ersten Tor brach dann die Hölle los, die Steintor -Kurve war geboren. Die Zeitlupe war nur noch im Stehen zu sehen, grüne Schals und Mützen verdeckten die Sicht und eine einsame Wunderkerze erleuchtete den Nikolaus-Abend. Auch die Allercoolsten gaben ihre Zurückhaltung auf, die Spieler wurden mit Zugabe-Chören aufgefordert „noch einen 'reinzutun“. Der Schulterschluß mit den „richtigen“ Fans in der Betonschüssel am Osterdeich war perfekt. Jeder Jubelgesang der Ostkurve hallte in der Schauburg nach, „Oh, wie ist das schön“ klang es synchron im Kino, nur La Ola war den Second-Hand-Fans zu dumm.

Da der Hamburger Kommentator mit seinen Äußerungen erfreulich belanglos blieb und nur einmal hämisch beklatscht wurde, als er von den widrigen Wetterbedingungen im Stadion zu berichten wußte, war es dem Trainer-Gott Ottoooo vorbehalten, den markantesten Satz des Abends zu sprechen. „Draußen und drinnen (gemeint waren Tribüne und Spielfeld) paßte alles zusammen“. Der Mann konnte gar nicht wissen, wie recht er hatte. Mins Minssen jr