Feminismus in Anführungszeichen

Valentina Konstantinova ist Mitgründerin der Moskauer Frauengruppe Lotos  ■ I N T E R V I E W

taz: Valentina, du hast zusammen mit den Frauen vom Center of Gender Studies die autonome Frauengruppe Lotos gegründet

-die „Liga für die Emanzipation von Geschlechterstereotypen“. Wie bist Du mit dem Feminismus in Kontakt gekommen?

Valentina Konstantinova: Ich habe vor mehreren Jahren eine Feministin aus Großbritannien getroffen. Ich glaube, ich war innerlich bereit, diese neuen Gedanken anzunehmen. Ich habe dann sieben Jahre lang die Frauenbewegung studiert und im Mai meine Dissertation über die feministische Bewegung in Großbritannien verteidigt.

War ein solches Thema denn überhaupt möglich? Schließlich hast du ja an der Sozialwissenschaftlichen Akademie des Zentralkomitees der KPdSU studiert?

Natürlich waren meine Professoren nicht begeistert. Sie wollten nicht, daß ich den Ausdruck Feminismus verwende. Sie fragten mich, ob es nicht die demokratische Frauenbewegung sein könnte, oder ob ich nicht wenigstens das Wort feministisch zwischen Anführungszeichen setzen könnte. Aber ich habe gesagt, wieso denn Anführungszeichen, der Feminismus ist eine Realität, und nicht nur im Westen. Sie konnten es mir nicht verbieten, denn es war schon die Zeit der Perestroika. Aber mein Diplom habe ich ja noch nicht. Wer weiß!

Bist Du in Großbritannien gewesen? Zu welcher Literatur hattest Du Zugang?

Nein, ich war nie in Großbritannien, aber ab und an habe ich Frauen aus westlichen Ländern getroffen und dann konnte ich überprüfen, ob ich mit meinen Ideen Recht hatte. Ich habe mich in meiner Dissertation voll hinter die Theorie des Feminismus gestellt. Literatur zu bekommen war und ist sehr schwer. In den Buchläden gibt es natürlich gar nichts, wir sind also ausschließlich auf Bibliotheken angewiesen - auf die Bibliothek des Zentralkomitees der KPdSU und auf die Leninbibliothek. Aber auch dort ist es eher Zufall, was man findet. Sie sind nicht besonders erpicht darauf, feministische Literatur zu bestellen. Von Shulamith Firestone zum Beispiel habe ich gehört, aber ich habe sie nicht gelesen. Simone de Beauvoir kann ich nicht lesen, weil ich kein Französisch kann. Gelesen habe ich „Sexus und Herrschaft“ von Kate Millett und ein Buch von Juliet Mitchell. Wir informieren uns auch über Rezensionen, die wir in verschiedenen Zeitschriften finden.

Ihr habt am Bevölkerungswissenschaftlichen Institut der Akademie der Wissenschaften das „Center of Gender Studies“ gegründet. Jetzt wird alles anders werden!

Ja, wir haben bereits zwei Stellen, und das Institut hat uns noch zwei oder drei weitere zugesagt. Wir haben einen Raum, ein Telefon und eine Schreibmaschine, alles sehr bescheiden, aber wir können anfangen. Langfristig wollen wir den Feminismus als anerkannte und legitime Theorie an der Universität etablieren. Und wir wollen eine Bibliothek aufbauen. Wir haben schon viel Unterstützung von Frauen aus Großbritannien und den USA bekommen. Als Marilyn French und Grace Paley in Moskau waren, haben sie - praktisch, wie die Amerikanerinnen sind -, spontan beschlossen, in den Staaten einen Verein zu gründen, der Bücher für unsere Bibliothek sammelt.

Interview: Erica Fischer

Das Center of Gender Studies ist weiterhin auf Bücherspenden angewiesen. Adresse: Bevölkerungswissenschaftliches Institut, Akademie der Wissenschaften, Center of Gender Studies, z.Hd. Dr. Anastasija Posadskaja, Krasikova 27, Moskau 117218, UdSSR