Mit Stecknadeln gegen Männeranmache

■ Istanbuler Frauengruppen wehren sich mit ungewöhnlichen Methoden gegen sexuelle Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln: Sie verkaufen lange Nadeln. Die Devise: Schweig nicht, stich zu. Sie stürmen Männerkneipen und diskutieren mit der überrumpelten Kundschaft

Yuppie-Design in einem verrauchten Kneipenraum: Der Fußboden ist mit neuen Kacheln ausgelegt, knallrot sind die Fenster und Türrahmen, kitschige Spiegel zieren die Wände. Der auf einem Podest aufgebaute Fernseher mit angeschlossenem Riesenlautsprecher läuft ununterbrochen. Ein paar Dutzend betrunkene Männer hocken hinter Bier- und Rakigläsern, heben ab und zu den Kopf zur Glotze. „Bacanak“ (Schwippschwager) ist eine von Hunderten Männerkneipen im Istanbuler Stadtteil Beyoglu.

Ehrbare, brave und zumeist verheiratete Männer sind hier die Kunden. Der Arbeitstag ist beendet, das Trinken in der Kneipe um die Ecke angesagt. Die Schlechtigkeit der Welt und der Frau wird beklagt. „Verflucht sei die Preiserhöhung des Raki“, sagt ein junger Mann, bevor er den letzten Rest der Flasche ins Glas kippt. Ein Mittvierziger (Schnauzer, weißes Hemd, grauer Anzug) gibt seinem Trinkkumpan gute Tips. „Du mußt sie rannehmen. Bei meiner Frau ist es dasselbe. mal schmerzt ihr Hintern, mal ihr Kopf.“ Im Fernseher laufen die Nachrichten: Die Ehefrau des Staatspräsidenten und Vorsitzende des „Verbands zur Stärkung der türkischen Frau“, Semra Özal, moderierte im Istanbuler Nobelhotel Marmara Etap eine Podiumsdiskussion über Drogenabhängigkeit. Die Ausstellung Das Kopftuch gestern und heute im Pressemuseum ist wiedereröffnet worden. Islamische Fundamentalisten haben eine Woche zuvor die Ausstellung kurz und klein geschlagen. „Komm her, Puppe“

„Müssen wir uns diesen Quatsch angucken. Komm, Junge, leg was Anständiges auf“, macht ein Mann am Nebentisch den Kellner an. Das Video wird eingelegt: America 3000 Urwald, Kraftprotze, Superwaffen, Sex and Crime. Der Kellner spielt mit der Fernbedienung, für Augenblicke erscheint wieder das Fernsehprogramm: Heile Familienwelt in der Seifenwerbung: Junge Mutter wäscht Baby in Badewanne. Die Atmosphäre ist niederdrückend.

Dann winken die Jungs am Fenstertisch zwei Frauen, die auf der Straße stehen. „Komm doch her, Puppe.“ Das hätten sie lieber bliebenlassen. Denn rund 40 Frauen, begleitet von einer Schar Pressefotografen, stürmen auf einmal die Kneipe. Der Junge am Fenstertisch stottert: „Ich dachte, ihr seid Prostituierte, ehrlich.“ Die ursprüngliche Verwunderung über die Frauenmassen macht dem Schrecken Platz. „Unser Körper gehört uns, Schluß mit sexueller Belästigung“, verkünden die Eindringlinge in die Männerwelt. „Alleine traut sich hier niemand von uns rein. Gierige Männerblicke verfolgen dich, du wirst gekniffen, angefaßt, belästigt. Das soll sich ändern. Los, wir wollen hier etwas trinken“, ruft eine der Frauen. Im Kulturzentrum BILSAK ist gerade eine Veranstaltung über sexuelle Belästigung zu Ende gegangen. Im Anschluß haben sich die Teilnehmerinnen entschlossen, zusammen in Männerkneipen zu gehen.

Die Männer sind zu Unschuldslämmern geworden. „Komm her, Schwester, setzt dich zu uns, wir finden es richtig, was ihr sagt“, ruft der Mittvierziger, der sich noch vor einer Stunde über Kopf und Hintern der Ehefrau beklagte. Die „Schwestern“ setzen sich: „Wenn ich als Frau alleine gekommen wäre, hättet ihr mich doch angemacht.“ „Nichts wäre passiert, nichts, du bist doch unsere Schwester.“ „Würdest du deine Frau alleine herschicken?“ Dozierend erinnert der Herr an ein Zitat des Staatspräsidenten Turgut Özal: „Die Türkei springt in die Zivilisation. Ich weiß, wie man sich ehrbaren Frauen gegenüber benimmt. Ich bin ein zivilisierter, moderner Mann. Doch ihr wißt, das Volk ist ungebildet, unkultiviert. Diese Lumpen sind es, die fremde Frauen anmachen. Man muß das Volk erziehen.“ Jeden Sonntag so erzählt er stolz - führe er seine Frau in den Familienteegarten.

Keiner der Männer bezweifelt, daß Anmache und sexuelle Belästigung zum Alltag gehört. Doch die Verhältnisse sind schuld - die anderen Männer, die kulturlosen, anatolischen Dörfler, die heutzutage die Metropole am Bosporus bevölkern. Nur ein junger Mann ist geständig: „Natürlich, wenn zwei Frauen alleine hier rein kommen, wollen sie angemacht werden. Sonst würden sie eben nicht hier hergehen. Es gibt halt Frauen, die das mögen.“ Von allen Seiten wird der Mann attackiert und zum Schweigen gebracht. Die Frauen stimmen ein Frauenlied an: „Es weht die Fahne des Aufstandes gegen die Unterdrückung von Jahrhunderten. Es gibt Frauen überall.“ Eingeschüchtert schweigen die Männer. Aufgescheucht laufen die Kellner hin und her.

Der Überfall der Frauen auf die Kneipe hat Vorgeschichte. Seit Anfang November läuft die Kampagne gegen sexuelle Belästigung, die von mehreren Istanbuler Frauengruppen getragen wird. „Über Klassen-, Bildungs- und Altersunterschiede hinweg sind Frauen Männergewalt und sexueller Belästigung ausgesetzt“, konstatieren die Initiatorinnen. „Die Männer belästigen uns nicht, weil sie ungebildet, pervers oder verrückt sind, sondern weil sie meinen, ein Anrecht auf den Frauenkörper zu haben.“ Die Veranstaltungen und Aktionen der Frauen wurden vielfach mit Spott quittiert - auch unter linken Männern.

Mit einer ungewöhnlichen Aktion startete die Kampagne. Auf den Bosporusfähren, wo Hunderttausende zwischen Europa und Asien hin- und herpendeln, mischten sich die Frauen unter die fliegenden Händler. „Habt ihr es satt, von den Männern angerempelt, gekniffen, angefaßt und belästigt zu werden?“ fragten lauthals die Frauen, um anschließend ihre Waren zu preisen: „Hier ist es, das Superprodukt. Handlich und effektiv. Sieben Zentimeter rostfreier Stahl mit Chromnickelmischung. Die Superwaffe gegen Anmache. Früher haben wir damit Steppdecken bezogen, jetzt stechen wir damit zu: die Stecknadel.“ Wie warme Semmeln wurden die Stecknadeln mit lila Kordel auf den Fähren verkauft. „Schweig nicht, stich zu“, lautete die Devise. Die Superwaffe

Nun hocken sie mit ihren Stecknadeln mit lila Kordel in der Männerbierhalle in Beyoglu. Die potentiellen Täter werden mit Fragen zur Rechenschaft gezogen. Endlose Diskussionen. „Öffne die Tür, daß endlich diese Weiber abhauen“, flüstert der Wirt einem Kellner zu. Die Kälte zeigt Wirkung. Nach einer Stunde ist der Spuk vorbei. Die Frauen machen sich zum nächsten Lokal auf.

Aufatmen: „Ich wollte gemütlich nur ein paar Bier trinken, diese Hexen haben es mir vergiftet“, klagt ein Herr mit Rosenkranz in der Hand, nachdem die Frauen weg sind. „Hol sie der Teufel. Das waren alles gebildete Tussis“, sagt der Mittvierziger in weißem Hemd und grauem Anzug. „Nach Anatolien müßte man die schicken, daß die vom Mann eins mit dem Knüppel drüberkriegen.“ Es wird wärmer in dem Lokal.

Ömer Erzeren