Stasi: Ausräumen und aufräumen

■ Demonstranten suchten Hauptquartier der Staatssicherheit in Ost-Berlin und Filialen in anderen Städten auf / Anzeige gegen Ex-Stasi-Chef Mielke wegen der Polizeiübergriffe im Oktober

Berlin (ap/dpa/afp/taz) - Die diversen Filialen der Staatssicherheit standen und stehen weiter im Mittelpunkt des „Volkszorns“. Rund 30 Ostberliner, darunter Vertreter von Kirchengruppen, der SDP und des Bürgerkomitees, haben am Mittwoch abend erstmals Einlaß ins Hauptquartier des Amtes für Nationale Sicherheit erhalten. Nachdem sie vor dem Gebäudekomplex der ehemaligen Stasi an der Magdalenenstraße im Ortsteil Rummelsburg demonstriert hatten, ließ sie Pressesprecher Stephan Roaal hinein. „Unnötige“ Akten seien bereits vernichtet worden, das habe nichts mit „wissentlicher Vertuschung“ zu tun, erhielten sie zur Auskunft. Aktenschränke seien jetzt versiegelt, um weitere Abtransporte zu verhindern.

In Suhl, so erklärte Jürgen Tallig vom Neuen Forum, sei während der Besetzung des dortigen Stasi-Gebäudes Tränengas eingesetzt worden. Die Situation habe aber friedlich bereinigt werden können. Das Haus der Staatssicherheit in Leipzig, so Sprecher Tallig weiter, stehe nun unter Kontrolle der Opposition.

Das Schweriner Bezirksamt für Nationale Sicherheit wurde laut DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ in der Nacht zum Donnerstag auf Verfügung einer Regierungskommission und in Absprache mit Bürgern und Pressevertretern versiegelt. Nur noch einem sechsköpfigen Mitarbeiterstab sei gestattet, das von Volkspolizisten, Einwohnern der mecklenburgischen Bezirksstadt und hauseigenem Wachpersonal gesicherte Gebäude durch Nebeneingänge zu betreten. Parallel dazu erwischte es den ehemaligen SED-Bezirkschef von Schwerin, Heinz Ziegner. Die örtliche Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein, weil er für das von ihm bewohnte Haus Mittel und Material „ungerechtfertigt“ in Anspruch genommen haben soll.

Auch der bisherige Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit in Gera, Generalmajor Dieter Dangrieß, wurde mit heutiger Wirkung von seinem Amt entbunden. Bereits am Mittwoch hatten sich Bürger des Ortes Tautenhain im Bezirk Gera Zutritt zu einem unterirdischen Bunker eben jenes Amtes verschafft. Gemeinsam mit einem Kreisstaatsanwalt besichtigten sie die unterirdische Nachrichtenzentrale und das oberirdische Lager von Nachrichten- und Medizintechnik. Anwohner hatten bereits in den letzten Tagen immer wieder Transporte beobachtet. Noch glühende Asche offenbarte schnelle Vernichtungsarbeit der Stasi-Leute. Wolfgang Schwanitz, Chef des Amtes für Nationale Sicherheit, trat unterdessen die Vorwärtsverteidigung an und warnte gestern gegenüber Journalisten die Bevölkerung vor Gewalt gegen Mitarbeiter seiner Behörde. Sie handele nur im Interesse des Volkes. Zahlreiche Mitarbeiter seien leicht verletzt worden, als Stasi-Gebäude in verschiedenen Städten gestürmt wurden. Auf Nachfrage sagte Schwanitz, die Mitarbeiter seines Amtes hätten „den ausdrücklichen Befehl von mir, keinen gezielten Schuß abzugeben“. Zur Zeit bestehe eine Situation, „wo die Schwelle zur Eskalation nur noch sehr minimal ist“. Als Beispiel nannte er Dresden, wo die Wohngebäude von Mitarbeitern „faktisch umstellt“ seien und „praktisch Sippenhaft“ für ihre Angehörigen herrsche.

Und in einem gestern veröffentlichten Interview mit der Ost -'Berliner Zeitung‘ sagte Schwanitz, die frühere Staats- und Parteiführung habe nach dem Motto, „daß nicht sein kann, was nicht sein darf“, Analysen über die tatsächlichen Verhältnisse im Land nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Auf ein Papier vom 22. September über die Ursachen der Massenflucht beispielsweise habe das Politbüro nicht reagiert.

Strafanzeige gegen Mielke

Der frühere Stasi-Chef Erich Mielke, der Ostberliner Polizeipräsident Friedhelm Rausch, der Ostberliner Generalstaatsanwalt Dieter Simon sowie der Bezirkschef der Staatssicherheit Generalmajor Siegfried Hähnel sollen als Verantwortliche für die Polizeiübergriffe bei den Demonstrationen vom 7. und 8. Oktober strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. So will es jedenfalls die vom Ostberliner Stadtparlament eingesetzte Untersuchungskommission zum nämlichen Thema.

Hähnel hatte vor der Untersuchungskommission ausgesagt, daß Mielke die Federführung für die Einsätze in Ost-Berlin gehabt habe. Mielke habe auch befohlen, „Demonstrationen unter allen Umständen nicht zuzulassen und sie aufzulösen“, so Polizeipräsident Rausch vor der Kommission. Der ehemalige Minister sei dafür verantwortlich, so war außerdem zu hören, daß die Sicherheitskräfte beim 40. Jahrestag der DDR mit Sonderausrüstung ausgestattet und die gesetzliche Frist, Festgenommene nach 24 Stunden aus dem Polizeigewahrsam zu entlassen, außer Kraft gesetzt worden sei.

usche