„Global denken - vor Ort handeln“

Erste europäische Umweltkonferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Frankfurt / Europäische Charta für Umwelt- und Gesundheit soll verabschiedet werden / Nur Empfehlungen und Allgemeinplätze im Chartaabschnitt „Strategische Elemente“  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - „Tschernobyl hat uns allen drastisch vor Augen geführt, daß sich nationale Umweltkatastrophen nicht auf das Verursacherland reduzieren“, meinte der isländische Minister für Gesundheit und soziale Sicherheit, der zur Eröffnung der Aussprache über die „Europäische Charta für Umwelt und Gesundheit“ das Wort ergriffen hatte. Im luxuriösen Sheraton-Hotel am Frankfurter Flughafen waren gestern die Umwelt-, Gesundheits- und/oder Sozialminister aus 29 europäischen Ländern zusammengekommen, um in zweitägiger Konferenz „Respekt vor den ökologischen Systemen dieses Planeten“ zu bekunden, Strategien zu ihrer Erhaltung oder Regeneration zu erarbeiten und eine gemeinsame Resolution (Charta) zu verabschieden.

Nach Frankfurt geladen hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (World Health Organization) und die Bundesregierung. Bundesumweltminister Töpfer sprach als Vorsitzender des Tagungspräsidiums von einer historischen Stunde und vom notwendigen „Bau der Umweltagentur Europa“. Diese „Umweltagentur“ mache schließlich nur dann einen Sinn, wenn alle europäischen Staaten mitmachen würden.

Daß bis auf Albanien und Rumänien die Vertreter fast aller europäischen Staaten nach Frankfurt gekommen waren, wurde von den Ministern als ein erster Konferenzerfolg gefeiert. Der zweite ließ nicht lange auf sich warten: Kein Land wollte beim Bau der „Umweltagentur Europa“ im Abseits stehen, denn Umweltpolitik sei das „Gebot der Stunde“ und „Lebensvorsorge für die kommenden Generationen“, wie der Schweizer Bundesminister Cotti unter dem Beifall des Auditoriums erklärte.

Gestern vormittag jedenfalls goß lediglich der Regierungsvertreter Jugoslawiens Wasser in den Wein der umweltpolitischen Glückseligkeit, der selbst die zahlreich erschienenen Minister der osteuropäischen Länder mit ihren verheerenden Umweltbilanzen zu Besserungsgelübden animierte. Der Mann aus Belgrad forderte die „reichen Länder des Westens“ auf, den Ländern der Dritten Welt die Schulden zu erlassen. Statt dessen sollten dort insbesondere die Staaten der EG Umweltschutzinvestitionen tätigen, denn der Schutz der Ökosysteme dürfe sich nicht auf Europa beschränken: „Global denken - vor Ort handen.“

Sanfte Kritik an der Charta kam auch aus den Niederlanden. Mit ihren unkonkreten Formulierungen sei diese Charta kaum geeignet, die drängenden Probleme an der Wurzel zu packen und die Mitgliedsstaaten zu raschem Handeln zu zwingen.

In der Tat: Der Chartaabschnitt „Strategische Elemente“ beschränkt sich auf Empfehlungen und Anregungen zur Einführung umweltfreundlicher Technologien und Produkte. Die Einführung von Kontrollmaßnahmen und der Erlaß „geeigneter Vorschriften zum Schutz der Umwelt“ wird den europäischen Ländern gleichfalls mit unverbindlichem Charakter angeraten. Und unter dem Chartaabschnitt „Der Weg nach vorn“ reiht sich Allgemeinplatz an Allgemeinplatz. Unter anderem heißt es da, daß die Mitgliedsstaaten „alle erforderlichen Schritte unternehmen sollten, um negative Entwicklungstendenzen baldigst umzukehren“. Unstrittig war dagegen die von einer Vorbereitungsgruppe erarbeitete Prioritätenliste, an deren Spitze Maßnahmen gegen globale Umweltprobleme wie die Zerstörung der Ozonschicht und die schleichende Klimaveränderung stehen, sowie eine „sichere und angemessene Trinkwasserversorgung“ und die „mikrobiologische und chemische Unbedenklichkeit der Lebensmittel“. Einig waren sich Konferenzteilnehmer darin, daß diese erste Konferenz nicht die letzte gewesen sein darf. In zwei Jahren will man sich wieder treffen - „um zu sehen, ob die erste Konferenz etwas bewirkt hat“.