„Wir haben zum Handeln nur 20 Jahre Zeit - maximal“

■ Klimaforscher Peter Hennicke über Treibhauseffekt und effizientere Energienutzung, den Ausstieg aus der Kernenergie und die Bremer Vorreiterrolle

Peter Hennicke ist zur Zeit Professor an der Fachhochschule Darmstadt und Mitglied der Enquetekommission des Deutschen Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre. Zu Joschka Fischers Ministerzeiten war er Referent für Grundsatzfragen Energiepolitik im Hessischen Umweltministerium.

taz: Im Sommer sind die Telefone in der Umweltbehörde heißgelaufen. Alle Leute wollten wissen, ob der ungewöhnliche Sommer schon im Gefolge des Ozonlochs kam. Ich vermute, sie hätten mit Nein geantwortet?

Hennicke: Das kann niemand im Moment mit Sicherheit bestätigen. Es gibt soetwas wie einen Indizienbeweis, daß der Treibhauseffekt schon wirksam ist. Die Indizien sind der Anstieg des Meeresspiegels um etwa 20 cm, die globale Durchschnittstemperatur ist um etwa o,7 Grad gestiegen. Die Anomalien haben zugenommen, dazu zählen wir verstärkte Hitzewellen, Taifune und Überschwemmungen. Gletscher sind abgeschmolzen. Dies sind überraschende Indizien, aber sie kten ch nochnnerlb der normalen klimatischen Schwankungen liegen.

Das ist die sehr vorsichtige Zurückhaltung des Wissenschaftlers. Sie würden vermutlich nicht sagen, in zwanzig Jahren reicht die Nordsee bis zum Harz. Aber läßt sich tatsächlich über die weitläufigen Spekulationen hinaus keine gesicherte Prognose für ein Szenario in zehn, fünfzehn Jahren aufstellen?

Die wichtigsten Klimamodellrechnungen sagen eigentlich übereinstimmend, daß - vorausgesetzt die Situation bei d urengasen, insbesondere dem CO2, geht ungebremst so weiter etwa in 50 bis 100 Jahren die durchschnittliche globale Temperatur um 3 bis 9 Grad ansteigen könnte.

Modellrechnungen bergen immer Unsicherheitsfaktoren in sich. Aber es gibt in den letzten Jahren eine zunehmende Übereinstimmung unter den Wissenschaftlern, daß die Entwicklung in diese Richtung gehen wird, wenn sich die Situation nicht grundlegend, und zwar innerhalb der nächsten zwanzig Jahre, verändert. Insofern können wir auf keinen Fall mit Gegenmaßnahmen länger warten.

Im letzten Jahr war in Toronto die Weltklimakonferenz. Dort ist u.a. gefordert worden, den weltweiten CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren.

Die Klimakonferenz hat gesagt, damit der Treibhauseffekt überhaupt noch eingedämmt werden kann, brauchen wir als ersten

Schritt bis zum Jahr 2005 eine absolute Reduktion der CO2 -Emmissionen weltweit um 20 Prozent. Industrieländer müssen etwa um das Doppelte reduzieren, damit der unabdingbare Nachholbedarf der Dritte-Welt-Länder überhaupt noch möglich ist.

Was ist das doppelte von 20 Prozent? Was heißt das für die Industrieländer, wenn die Entwicklungsländer den notwendigen Nachholbedarf auch realisieren?

Im Moment werden durch Verbrennung von fossilen Energieträgern etwa 5,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff jedes Jahr freigesetzt. Die Industrieländer sind mit achtzig Prozent hieran beteiligt. Die Dritte Welt hat in Zukunft einen zunehmend größeren Anteil, aber pro Kopf beträgt er, wenn man alle Nachkriegs - Emissionen kumuliert und pro Kopf umlegt, nur 225 Kilogramm pro Jahr. Während ein Amerikaner nach dem 2. Weltkrieg durchschnittlich etwa 5 Tonnen CO2 pro Jahr verursacht hat. Dies zeigt etwa die Relation der historischen Verursachung des CO2 - Problems. Die Weltenergieszenarien, soweit sie klimastabilisierende Wirkungen aufzeigen, setzen voraus, daß die Dritte-Welt ihren Pro-Kopf-Energie-Verbrauch von heute etwa 0,6 Kilowatt auf jeden Fall erhöhen kann. Dies ist aber nur möglich, bei der wachsenden Bevölkerung in der Dritten Welt, wenn der pro -Kopf-Verbrauch in den Industrieländern, der heute etwa 7 kw beträgt, halbiert wird. Nur dann läßt sich das Klimaproblem noch eindämmen.

Sie haben von risikominimierenden Strategien gesprochen. Was gehört dazu?

Wir müssen verhindern, daß ein Risiko gegen das andere ausgespielt wird und daß die Pest (nämlich die Risiken der Kernenergie) mit der Cholera ( dem Treibhauseffekt) ausgetrieben wird oder umgekehrt. Es ist noch möglich, eine risikominimierende Weltstrategie umzusetzen, die Weltenergieszenarien schwanken bis zum Jahr 2030 um die Bandbreite 35 Billionen Watt an der maximalen Obergrenze des Energieverbrauchs bis zu 5 Billionen Watt an der Untergrenze (Effizienzszenario von A. Lovins). Das Lovins - Szenario setzt voraus, daß die technischen Potentiale rationellerer Energienutzung auf der Nachfrageseite zuerst realisiert werden und dann der verbleibende Restenergiebedarf möglichst mit einem hohen Anteil regenerativer Energiequellen abgedeckt wird. Dann ist die Kernenergie weltweit nicht mehr notwendig. Bei

dem hohen Szenario braucht man sowohl mehr Kernenergie als auch mehr fossile Energieträger, sodaß die Risiken kumuliert werden würden.

Sie sagen, die Investoren, die notwendig sind, um CO2 -Vermeidungstechnologien zu produzieren und anzuwenden, die treten erst dann auf den Markt, wenn ein politischer Anstoß gegeben wird. Und dieser Anstoß müßte bedeuten, entweder aus Kohle oder aus der Kernenergie auszusteigen. Wofür plädieren Sie?

In der Vergangenheit ist der Beitrag der Kernenergie zur Klimastabilisierung ausgesprochen gering gewesen. Der atomare Endenergieanteil in der Welt beträgt 2 Prozent. In der Bundesrepubik Deutschland 5 Prozent. Um diese 5 Prozent in der BRD bereitzustellen, wurden 57 Milliarden Mark allein in die laufenden Kernkraftwerke investiert. Hätte man diese Summe von vornherein in effizientere und regenerative Energietechnologien oder Kraft-Wärme-Kopplung investiert, hätten wir kein nukleares Risiko in der Bundesrepublik und insgesamt weniger CO2-Immissionen als bisher. In der Zukunft: Wir haben einen übervollen Kraftwerkspark mit etwa 10 Gigawatt Überkapazität nach offiziellen Zahlen von VDEW. Wir brauchen, um das Ziel von Toronto zu erreichen, eine rasche Umsetzung von CO2-Reduktionspotentialen. Dafür kommen in Frage: effizientere Energienutzung, regenerative Energiequellen und Kraft-Wärme-Kopplung. Wenn wir diese drei im großen Umfang in das bestehende Energiesystem integrieren wollen, brauchen wir

Investoren, die darin einen ökonomischen Anreiz sehen. Das ist bei den jetzigen Überkapazitäten unmöglich. In der Bundesrepublik könnten in zehn Jahren mindestens zehn Prozent Strom eingespart sowie 50 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Wind und Sonne und hundert Milliarden Kilowattstunden aus Heizkraftwerken hergestellt werden. Dies alles geht aber nur, wenn Investoren gefunden werden, die das als rentablen Markt betrachten. Also muß entweder aus der Kernenergie oder aus der Kohle ausgestiegen werden. Mein Votum ist, das hohe Risiko der Kernenergie rasch zu vermeiden und damit mit einem Schlag auch einen innovativen und rentablen Markt für CO2-Reduktionspotentiale zu schaffen. Damit könnten die CO2 - Emmissionen bis zum Jahr 2010 um dreißig Prozent gegenüber einer unveränderten Energiepolitik abgesenkt werden.

Der Bremer Energie-Beirat hat sich bei seinem Energiegutachten auch das Ziel gesetzt, auf eine Reduzierung der CO2-Emissionen von 40 Prozent zu kommen. Warum haben sie dabei nur den Energiebereich untersucht, nicht aber den Verkehr?

Das waren Selbstbeschränkungen im Auftrag des Senats, daß wir nur die Energieumsätze untersuchen sollten. Es ist ein erster Schritt, aber ich stimme zu, wir müssen das, was wir hier im Energiebereich machen können, auch auf den Verkehrsbereich übertragen. Das Überraschende an dieser Zahl Minus 40 Prozent bis zum Jahre 2010 ist aber aus meiner Sicht, daß es für die Region Bremen kein Opfer bedeutet, son

dern eine große Chance, was die zusätzlichen Arbeitsplätze angeht, was die Umweltentlastung generell angeht, denn CO2 ist ja nur der Leitindikator (für SO2, NOX) und auch was die steigende Wirtschaftskraft der Region angeht. Insofern haben wir hier ein Modell, durch das die Vorreiterrolle einer Region demonstriert werden kann in der CO2 -Reduktionspolitik, etwa in dem Umfang wie es notwendig ist. Wir brauchen unbedingt solche Demonstrationseffekte, sonst wird sich weder national noch weltweit etwas bewegen. Eine weltweite Konvention zum Schutz der Erdatmosphäre wird überhaupt nur zustandekommen, wenn man erfolgreiche regionale und nationale Beispiele vorzeigen kann, die andere darin beflügeln, dem nachzueifern.

Warum liegt die Chance für diese Vorreiterrolle bei den Kommunen?

Das hängt mit den Potentialen zusammen. Sie können das Einsparen nicht von einer Zentrale in Essen aus vornehmen. Auch die Preussen Elektra kann das nicht von Hannover aus machen. Das muß man vor Ort mit sehr gezielter Ansprache von Zielgruppen machen, auch mit Förderprogrammen. Obwohl Einsparen wirtschaftlich wesentlicher günstiger ist, als neue Kapazitäten zuzubauen, braucht man um die Markthemmnisse und Informationsdefizite zu überwinden, eine sehr zielgruppenspezifische örtliche Ansprache. Sie können Kraft-Wärme-Kopplung ebenfalls nicht vom grünen Tisch in Hannover oder Essen machen, die muß vor Ort in die bestehen

den Systeme integriert werden.

Bei der Umsetzung liegt das zentrale Probelm. Hierfür ein Beispiel: Die PREAG baut am Standort Staudinger ein neues Großkraftwerk mit reiner Stromerzeugung, wogegen sich die umliegenden Kommunen außerordentlich hart zur Wehr setzen. Bremen hat auf der anderen Seite jetzt schon 320 Gigawattstunden Überschuß aus bestehenden Kapazitäten an Strom und könnte in sinnvoller Kraft-Wärme-Kopplung bis zu 18.000 Gigawattstunden anbieten. Die beiden Dinge muß man unbedingt zusammenbringen, wenn die PREAG Strom aus Kraft -Wärme-Kopplung und regenerativen Energiequellen aus Bremen kaufen würde, wäre das Kraftwerk in Staudinger nicht notwendig.

Das Gutachten des Energie-Beirates liegt seit Mai vor. Inzwischen ist ein halbes Jahr verstrichen. Sind die politischen Reaktionen auf das Gutachten für sie zufriedenstellend?

Natürlich wünscht man sich als Beirats-Mitglied, daß das schneller geht. Aber ich muß sagen, die Resonanz, die bisher vom Senat gekommen ist, ist auch nicht entmutigend. Der Senat hat die 40 Prozent-Leitlinie für eine CO2-Reduktion anerkannt, er hat gesagt, es soll ein Bremer Energiegesetz geben, es soll auch die Hinwendung zum Energiedienstleistungsunternehmen unterstützt werden, mit einer Satzungsänderung. Dies ist der programmatisch mutigste Beschluß, der bundesweit existiert. Nun muß man ihn umsetzen.

Das Interview führte Andreas Hoetzel