DDR-Gesundheitswesen chronisch erkrankt

■ In den letzten Monaten haben etwa 1.500 FachärztInnen die DDR verlassen / Auch in Ost-Berlin herrscht massiver Pflegenotstand / Theoretischer Unterricht für „Azubis“ fällt aus, weil sie dringend auf den Stationen im Klinikum Buch gebraucht werden

Das Gesundheitswesen in der DDR ist von einer chronischen Erkrankung befallen: Etwa 1.500 Fachärzte haben das Land in den letzten Monaten verlassen, gleichzeitig gingen rund 1.500 Pflegekräfte in den Westen. In Ost-Berlin, als „Hauptstadt der DDR“ bestversorgte Region, können die noch vorhandenen ÄrztInnen ihr Arbeitspensum trotz Mehrbelastung gerade noch erfüllen. Wohl aber herrscht auch hier, wie in den übrigen Teilen der DDR, ein massiver Pflegenotstand. Höchstens zwei bis drei Pflegekräfte pro Schicht sind die Regel, eine Schwester betreut allein bis zu 70 Patienten. Im Ostberliner Klinikum Buch fiel im November der theoretische Unterricht für die Auszubildenden aus, sie wurden auf den Stationen gebraucht. Nach Ansicht von Margot S., Krankenschwester im Krankenhaus Friedrichshain, liegen die Gründe für diesen Notstand nicht nur in der aktuellen Ausreisewelle: „Es ist das Ergebnis einer Entwicklung, die sich schon Jahre hinzieht. Die Pflegekräfte wurden viel zu niedrig bezahlt und gingen deshalb lieber in industrielle Bereiche.“ Der Schwesternlohn für eine 45-Stunden-Woche liegt bei rund 1.000 Ostmark im Monat, Teilzeitarbeit ist nicht möglich, eine Stationsschwester erhält sogar nur rund 800 Mark und fünf tage Urlaub weniger im Jahr. Neben der Pflegetätigkeit müssen die Pflegekräfte Spritzen putzen und Binden auskochen, Einmalmaterial gibt es nicht. In den Krankenhäusern fehlt es an Transportern, Handwerkern und Elektrikern, primitivste Reparaturen müssen liegenbleiben. Üblich sind Wartezeiten auf Standardoperationen von mindestens einem halben Jahr. Ganze Stationen wurden bereits geschlossen, ein Krankenhaus in Friedrichshain hat bereits öffentlich um Pauschalkräfte gebeten, um die Nachtdienste weiter aufrechterhalten zu können. Neben den Pflegekräften hat die DDR-Regierung auch die Mediziner über Jahre hinweg nicht sonderlich pfleglich behandelt: Medizin galt als „unproduktiver Beruf“, mehr als 300 ÄrztInnen im Jahr bildete die Ost-Berliner Humboldt-Universität nicht aus. Und auch dann nur nach Bedarf, nicht nach Motivation: Fehlten gerade Kinderärzte, wurden Kinderte ausgebildet, fehlten Internisten, wurden diese ausgebildet, usw. Nur, waren diese Mediziner dann mit der Ausbildung fertig, sah der aktuelle Bedarf schon wieder ganz anders aus.

Ein Netz von niedergelassenen Hausärzten, wie in der BRD üblich, gibt es in der DDR nicht. Die ambulant tätigen ÄrztInnen sind in sogenannten Polikliniken zusammengefaßt. Der Patient wird von dem behandelt, der gerade Zeit hat. Braucht er einen Hausbesuch, kommt nicht der behandelnde, sondern der diensthabende Arzt. „Abgesehen von dem fehlenden Vertrauen ist das völlig uneffektiv, da man sich immer wieder neu einarbeiten muß“, bemängelt Christiane K., noch vor kurzem als Ärztin in einer Ostberliner Poliklinik tätig.

Trotz der bestehenden Mängel hält es Ute Rehberger, Ärztin im Krankhaus Friedrichshain, „für ein Armutszeugnis, Ärzte aus dem Westen um Hilfe zu bitten, wir hier in Ost-Berlin sollten es aus eigener Kraft schaffen, das Gesundheitswesen auf die Füße zu stellen.“ Aus eigener Kraft - das hieße zum Beispiel all die Ärzte wieder zu reaktivieren, die durch Verwaltungstätigkeiten, als Stadtbezirks- oder Kreisärzte, der direkten Patientenversorgung verloren gingen.

In der Zwischenzeit griffen die praktizierenden ÄrztInnen und Pflegekräfte zur Eigeninitiative: Ausgehend von der Charite gründeten sich unabhängig voneinander eine Ärzte und eine Schwesternorganisation, die sich von Ost-Berlin auf die ganze DDR ausdehnen soll. Konstituiert wurden diese unabhängigen Verbände aus fehlendem Vertrauen zur bisherigen Interessenvertretung im FDGB, die sich „bislang als Vertretung der Werktätigen nicht genügend profiliert“ habe. Doch dies kann nur ein erster Schritt zur Sanierung des DDR -Gesundheitswesens sein: Während die „Hauptstadt“ mehr oder weniger gut versorgt ist, trocknen die anderen Regionen der DDR immer mehr aus. Hier fehlt es nicht nur an Pflegekräften und kompetenten Fachärzten, sondern auch an Medikamenten, Geräten und diagnostischen Möglichkeiten; besonders in ländlichen Gebieten ist eine Grundversorgung nicht gewährleistet, in Leipzig arbeiten zur Zeit nur noch zwei Kinderärzte. Aus diesem Grund fordern die Mediziner und Pflegekräfte zuallererst eine Umverteilung von vorhandenen Geldern: „Regierungskrankenhäuser, Sonderkliniken für Volkspolizei und Stasi, privilegierte Standorte wie Ost -Berlin - die dürfen nicht mehr bevorzugt werden“, so Klaus Meier, Pfleger im Klinikum Buch. Um das Gesundheitswesen der DDR tatsächlich auf den Weg der Genesung zu bringen, hält Ute Rehberg eine generelle Umverteilung der Mittel für erforderlich: „Wir waren lange genug das fünfte Rad am Wagen - wenn die Staatssicherheit und die Verwaltungen jetzt wirklich schrumpfen, dann müssen die freigesetzten Gelder ganz klar in den sozialen Bereich!“

Martina Habersetzer