Können wir jetzt jubeln?

■ Die Tourismusindustrie und der Umweltschutz

Neckermann Reisen (NUR) hat nunmehr als erster bundesdeutscher Großveranstalter das Thema Umweltschutz auf den Tisch gebracht. Bei der Vorstellung des Sommerprogramms für 1990 wurde der interessierten Presse mitgeteilt, daß künftig auch Umweltkriterien für den Qualitätsmaßstab von touristischen Angeboten maßgeblich werden. Man beabsichtigt, eine Art Gütesiegel für jene Hotels und Zielregionen zu entwickeln, die über Kläranlagen verfügen, sich um angemessene Müllbeseitigung bemühen, auf sicherheitstechnische Bestimmungen Wert legen und „saubere“ Strände vorweisen können. In absehbarer Zeit soll der Tourist bereits im Katalog nachschlagen können, welches seiner Traumziele diesen Gütekriterien gerecht wird. Gleichzeitig soll er ganz allmählich an diesen neuen Qualitätsstandard gewöhnt werden. Ein Schritt vorwärts?

Den Gründen für diesen Sinneswandel nachzugehen, ist müßig. Die touristischen Bewegungen des vergangenen Sommers sprechen für sich selbst. Verdreckte Strände und Algenpest haben in Verbindung mit einem bundesdeutschen Jahrhundertsommer den bis dahin beliebtesten Urlaubsregionen immense Einbrüche gebracht. Die Leute blieben einfach weg. Obwohl NUR noch auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken kann, wackelt die gesamte „ökonomische“ Basis: Das Kapital „intakte Natur“ verzeichnet einen galoppierenden Wertverlust. NUR wertet jetzt auf in Form von Unbedenklichkeitsbescheinigungen.

Was diese Firma künftig mit einem Gütestempel versieht, kann der Tourist reinen Gewissens genießen und entlastet ihn von unbequemen Gedanken im Urlaub. Es ist zu hoffen, daß der Sensibilisierungsprozeß über die Medien inzwischen so weit fortgeschritten ist, daß kein Mensch mehr einen optisch sauberen Strand mit unbedenklicher Wasserqualität verwechselt.

Höchst dubios erscheint bei näherer Betrachtung der Bewertungsvorgang, denn NUR macht daraus ein hauseigenes Thema. Die eigenen Leute sollen vor Ort zur Bestandsaufnahme schreiten; man mag sich weder der Fachleute auf diesem Gebiet noch offizieller Prüfkriterien bedienen. Auch die Zusammenarbeit mit jenen „Ideologen“, die immerhin schon in den siebziger Jahren für rege Diskussionen sorgten und Ideen für Problemlösungen im touristischen Bereich entwickelten, wird rundweg abgelehnt. NUR zieht sich die Pionierskleidung an und beginnt nach Gutdünken irgendwo mit der Arbeit. Da vermutlich andere Veranstalter dem Vorbild folgen werden, steht zu erwarten, daß auch sie sich mit dem Umweltthema ein eigenes Profil zulegen wollen. Jeder bastelt sich ein eigenes Gütesiegel.

Gemessen an den Möglichkeiten, die sich bereits heute über EG-Richtlinien, den Sachverstand von Experten und gesamteuropäische Zusammenarbeit bieten, ist dieses privatistische Treiben nicht einsichtig. NURs Offenheit gegenüber dem längst überfälligen Umweltthema wird erst dann Anlaß zum jubeln geben, wenn diese Firma sich auch bereit zeigt, die vorhandenen Lösungskapazitäten gezielt einzusetzen.

Christel Burghoff