Aus gegebenem Anlaß

Prozeßerklärung von Gabriele Tiedemann zum Mord an Alfred Herrhausen. Die Ex-Terroristin steht wegen Überfalls auf die Opec-Minister in Wien 1975 vor Gericht  ■ D O K U M E N T A T I O N

Entgegen verschiedenen Befürchtungen ist diese Hauptverhandlung bisher durch einen sachlichen, unaufgeregten, ja unspektakulären Verlauf gekennzeichnet. Dies ist, angesichts des Gegenstandes des Verfahrens, alles andere als selbstverständlich und, so denke ich, allen Prozeßbeteiligten zu verdanken. Wenn ich mich jetzt zu einer Stellungnahme entschieden habe, so aus der Befürchtung heraus, daß die sachliche Atmosphäre dieses Prozesses negativ beeinflußt werden könnte durch ein Ereignis, das zwar weder direkt noch indirekt mit diesem Verfahren etwas zu tun hat und doch sein Schatten zu werden droht. Ich denke, meine Befürchtung ist nicht grundlos. Am 30. November ist, wie bekannt, von einem Kommando der RAF der tödliche Anschlag gegen Alfred Herrhausen verübt worden. Es ist mit Sicherheit auch ein Reflex auf diesen Anschlag gewesen, daß einen Tag später trotz vorhergegangener positiver Stellungnahmen mein Antrag auf Vollzugslockerungen erneut abgelehnt worden ist, obwohl mit der Aufhebung des Haftbefehls in dem Verfahren, das hier zur Verhandlung steht, der Weg dafür frei sein könnte und müßte. Dies ist ein Reflex, den ich als eine von denjenigen, die sich von ihrer terroristischen Vergangenheit gelöst haben, immer wieder erlebe. Die Vollzugsbehörden, meine Familie, meine Freunde, überhaupt die Menschen, die mich kennen, wissen, daß ich vor nunmehr neun Jahren mit dem Terrorismus und seiner Ideologie gebrochen habe. Und doch macht uns, das heißt alle, die sich davon distanziert haben, jeder neue terroristische Anschlag in den Augen der Öffentlichkeit wieder verdächtig und erweckt aufs neue Rachegedanken.

Und selbstverständlich zeigen sich auch die Behörden und Instanzen, denen wir als Angeklagte oder Verurteilte unterstehen, nicht unbeeinflußt davon - wider besseres Wissen und oft auch gegen die eigene Überzeugung, aber fast immer aus Angst vor eben dieser Öffentlichkeit. So ist, mit anderen Worten, jeder neue terroristische Anschlag ein Rückschlag auf dem Weg der Resozialisierungsbemühungen derjenigen, die sich heute entschieden gegen die nur noch menschenverachtende und stupide Pseudopolitik dieser Gruppierung stellen, wie sie in dem Anschlag gegen Herrhausen zum Ausdruck kommt. Es kann nicht deutlicher werden als gerade jetzt, wo sich die Völker Osteuropas aufmachen, die dramatischsten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit dem Kriegsende zu vollziehen, wo sich dadurch auch hier alte Frontstellungen und Feindbilder auflösen, daß sich die RAF mit ihren Anschlägen von jeglichem gesellschaftlichen Realitätsbewußtsein verabschiedet hat. Angesichts dieser real stattfindenen Umwälzungen nehmen sich die Morde der RAF wie der ebenso zynische wie größenwahnsinnige Versuch aus, die primitive Logik der alten Schwarzweißideologien in die Köpfe der Menschen zurückzubomben.

Terrorismus - dieser Begriff schwebt auch über diesem Verfahren, obwohl es kein Verfahren unter der Anklage nach dem §129a ist. Und in der Tat: der bisherige Verhandlungsverlauf weist auch atmosphärisch keines der typischen Merkmale eines Terrorismusverfahrens auf. Ich möchte daher in Hinblick auf das Gesagte zum Schluß das Gericht und auch die Staatsanwaltschaft darum bitten, daß dies so bleibt.

Frau Tiedemann ist heute 37 Jahre alt. 1973, damals war sie 21, ist sie bei einer Schießerei in Bochum verhaftet und wegen versuchten Mordes an zwei Polizisten zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. 1975 wurde sie in der Folge der Lorenz-Entführung freigepreßt und zwei Jahre später beim illegalen Grenzübertritt in die Schweiz gestellt. Auch dabei kam es zu einer Schießerei, bei der zwei Grenzer lebensgefährlich verletzt wurden. Wegen „fehlgeschlagener Mordtat“ wurde sie daraufhin in der Schweiz zu 15 Jahren Haft verurteilt und nach zehn Jahren wegen guter Führung entlassen und an die Bundesrepublik ausgeliefert. Seitdem sitzt sie die Reststrafe (sechs Jahre) ihrer ersten Verurteilung ab. Bei dem jetzt in Köln laufenden Prozeß geht es um die Ermordung eines irakischen Sicherheitsbeamten und eines österreichischen Kripobeamten während des Opec -Überfalls in Wien im Dezember 1975. Der Tatvorwurf gründet sich auf bisher zweifelhafte Zeugenaussagen. Frau Tiedemann sitzt mit zweijähriger Unterbrechung bereits 14 Jahre im Gefängnis.